Der Nebelkönig (German Edition)
Möhrenpflänzchen und zupfte hingebungsvoll Unkräuter aus den ordentlichen
Reihen. Andres, der wortkarge, knurrige Gärtner, grub unweit von ihr ein Beet
um. Das Knirschen des Spatens, das leise Klirren, wenn er auf einen Stein
stieß, das dumpfe Poltern der umgewendeten Erdschollen und das gelegentliche
Schnaufen des Gärtners, wenn er den Spaten mit einem geübten Tritt in die Erde
versenkte, bildeten zusammen die vertraute Begleitmelodie, die Sallies Tagträume
begleitete.
Sie summte leise vor sich hin.
Heute war ein besonders schöner Tag, denn die jungen Pflanzen bekamen eine
Sonderration Sonne – und damit auch Sallie, die zwischen ihnen hockte. Sie
genoss das ungewohnte Gefühl des warmen Lichtes auf ihrer Haut. Ihre blassen
Arme röteten sich ein wenig, und lauter bräunliche Pünktchen zeigten sich
darauf.
Sallie gluckste leise. Was
hatte sie sich erschreckt, als sie zum ersten Mal im Sonnenlicht hier draußen
gearbeitet hatte! Sie war aufgesprungen und ins Haus gerannt und hatte jammernd
der Kräuterfrau, die gerade mit einem Korb unter dem Arm aus der Bügelstube
trat, ihre Arme hingehalten. Aber die Kräuterfrau hatte nur gelacht und ihr
einen Nasenstüber gegeben.
»Sommersprossen«, murmelte
Sallie. Was für ein ulkiges Wort. Sommersprossen. Sollte es nicht besser
»Sonnenflecken« heißen? Sie hatte schließlich noch nie vorher im Sommer solche
Flecken bekommen, aber jedes Mal, wenn sie sich etwas länger im ungewohnten
Licht der Sonne aufhielt, tauchten die Pünktchen wieder auf.
Langsam wurde das wärmende
goldene Licht schwächer und kühler. Sallie sah zum Himmel und erblickte den
vertrauten nebligen Dunst, der heranwallte. Sie sah dem Erlöschen der Sonne zu
und seufzte bedauernd.
Auch der Gärtner hörte auf zu
arbeiten und starrte in den Himmel. Seine Brauen zogen sich missmutig zusammen.
»Das war zu kurz«, beklagte er sich bei niemand Bestimmtem. »Wie soll ich die
Tomaten zur Reife bringen, wenn die Sonne so knapp zugeteilt wird, sag mir das,
he?«
»Warum bittest du den Herrn
nicht um mehr Sonnenlicht?«, fragte Sallie vorlaut.
Andres spuckte aus und starrte
genauso grimmig wie vorher zum Himmel nun auf seine Gehilfin. »Niemand bittet
den Herrn darum, etwas zu tun«, sagte er. »Du Spatzenhirn! Er ist der Herr, er
weiß, was er tut und wofür es gut ist!«
Sallie krauste die Nase, aber
sie hielt lieber den Mund. Andres war ein streitsüchtiger, rechthaberischer
Kerl, und sie wollte nicht, dass er sie nicht mehr zur Gartenarbeit holte, weil
er sich über sie geärgert hatte.
Sie streckte ihren Rücken, der
zu schmerzen begann, und kratzte gedankenverloren über die juckenden Pusteln,
die die Flohnesseln auf ihren Fingern und ihrem Handrücken hinterlassen hatten.
Neben ihr im Gebüsch raschelte es leise. Zweige bogen sich zur Seite und ein verschmitztes
goldenes Auge blinzelte ihr zu.
»Luan«, flüsterte Sallie und
warf einen Blick zu Andres, aber der Gärtner beugte sich gerade fluchend über
seinen Spaten, dessen Stiel gebrochen war. »Verdammte Steine«, hörte sie ihn
schimpfen.
»Luan, sei vorsichtig. Wenn
Andres dich hier sieht ...«
»Ah, er hat nichts dagegen,
dass ich hier bin. Ich helfe ihm gelegentlich«, entgegnete Luan lässig. Er
legte den hübschen dunklen Kopf schräg und sah ihr zu, wie sie ihre juckenden
Finger rieb.
»Wo ist Kaltrina?«, fragte
Sallie.
Luan wedelte unbestimmt zum Haus.
»Sie ist beschäftigt, wie immer«, erwiderte er. »Hat keinen Sinn dafür, sich
hier draußen ein wenig die Sonne auf das Fell scheinen zu lassen.« Er drehte
sich auf den Rücken und gähnte maunzend.
»Mit wem redest du da?«, rief
Andres. Sallie schrak zusammen und drehte sich hastig um. Hinter ihr schlugen
lautlos die Zweige zusammen.
»Niemand«, sagte sie. »Nein,
niemand. Ich habe ... mit mir selbst, Andres!«
»Denk daran, wer mit sich
selbst redet, ist verrückt«, konstatierte der Gärtner barsch, aber erstaunlicherweise
blinzelte er Sallie dabei zu.
Sie nickte und lächelte
erleichtert. Der Pâtissier hatte sie einmal dabei erwischt, wie sie sich mit
Kaltrina unterhielt, und hatte ihr einen äußerst merkwürdigen Blick zugeworfen
und einen Vogel gezeigt. Es war nicht gut, für sonderbar gehalten zu werden –
auch wenn Sallie eigentlich fand, dass alle anderen in dieser Hinsicht
sonderbar waren. Aber sie war doch lieber vorsichtig.
»Bist du fertig mit den
Möhren?«
Sallie hörte auf sich zu
kratzen und nickte.
»Dann nimm den Korb hier«,
Andres
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