Der Neid eines Fremden
Laubsägearbeiten oder einen silbernen Photorahmen aus der Zeit Edwards II.) hatte sie in der Einkaufspassage von Camden erstanden, bevor sie wieder modern geworden waren. Hand in Hand war sie mit Leo durch die Geschäfte geschlendert, während Guy, in einem Tragetuch an ihren Körper geschmiegt, seine Zustimmung zu ihren Funden lauthals bekundet hatte. Ihre Mutter hatte ihr einen gemütlichen Sessel und einen großen, schmalen Mahagonischrank geschenkt, in dem sie ihre Bücher aufbewahrte.
Es war ein dunkler Raum - sie hatte ihn schokoladenbraun gestrichen -, der jedoch durch elfenbeinfarbene Fenstersimse und einen Perserteppich aufgehellt wurde, den sie an dem Tag, an dem sie ihren ersten Vertrag beim Rundfunk unterschrieb, bei Liberty's gekauft hatte. Seine ockergelben und aprikosenfarbenen, seine zitronengelben und beigen Schattierungen wirkten vor dem unbenutzten Kamin wie glühende Asche. In einer Ecke des Zimmers hatte sie unauffällig eine Stereoanlage plaziert, deren Lautsprecher an zwei sich gegenüberliegenden Wänden angebracht waren. Als sie die auf dem Flohmarkt von Portobello erstandenen Vorhänge zuhause voller Begeisterung vorführte, hatte Leo, nachdem er einen Blick auf den dreckverkrusteten Chenillestoff geworfen hatte, gemeint, sie ähnelten einem Haufen Elefantenmist. Doch als sie sie etliche Male sorgfältig gewaschen und gespült hatte, war ein weiches Muster aus zarten rostbraunen, rosaroten und hellgrünen Farbtönen zum Vorschein gekommen. Dann hatte sie das Zehnfache ihres Werts bezahlt, um sie säumen zu lassen.
Sie trank den Kaffee aus und stellte die Tasse neben einem gerahmten Photo ihrer Eltern auf den Tisch. Ihr Vater, den sie nie kennengelernt hatte, wirkte in der Uniform eines Oberleutnants der Luftwaffe stolz und ein wenig unsicher; ihre Mutter sah durch ihren dichten weißen Schleier bewundernd zu ihm auf. Fünf Monate später war sie nach einem Luftangriff über den Niederlanden Witwe geworden.
Rosa legte ihr Buch in die Mitte des Schreibtischs. Es beschrieb das Leben von Lorenzo da Ponte, Mozarts Librettisten und Freund von Michael Kelly. Die Biographie, an der sie gerade arbeitete, war Rosa aus etlichen Gründen wichtig. Sie empfand es als erfrischend, sich in die freie und harmonische Welt der Aufklärung zu versetzen, in die Männer wie Newton, Voltaire und Mozart eine so köstliche Ordnung gebracht hatten; und es befriedigte ihren natürlichen Wissensdurst. Sie spürte hartnäckig den Fakten nach und hatte ein gutes Gespür für Querverbindungen, denn in Briefen und Tagebucheintragungen stieß sie auf Anspielungen, die einem weniger aufmerksamen Leser wahrscheinlich entgangen wären. Es machte ihr Spaß, längst verstorbene Figuren zum Leben zu erwecken, sich ihre Lebensweise, ihre Kleidung und ihre Kunstwerke in Gedanken vorzustellen, bis sie meinte, die Straßen von Wien und London förmlich riechen zu können.
Die Diskrepanz zwischen dem, wie die Menschen sich selbst in den verschiedenen Briefen und Memoiren darstellten, und dem, was ihre Freunde (und Feinde) über sie sagten, stellte sie vor Probleme, die sie voller Begeisterung in Angriff nahm, und da ein großer Teil ihres Materials auf französisch war, frischte sie zugleich ihre Sprachkenntnisse auf. Die Zeit, die sie auf diese Arbeit verwenden konnte, war begrenzt, doch das erschien ihr nebensächlich. Sie beschäftigte sich mit einer Sache, die ihr ausgesprochen ernst war und die ihr in vielen Jahren des Studiums entwickeltes akademisches Interesse wachhielt. Einige ihrer Freunde in den Medien und in der Werbung erkundigten sich bei jedem Zusammentreffen mit einem teils wehmütigen, teils ablehnenden Gesichtsausdruck nach ihrer Arbeit, den Rosa bald einzuschätzen wußte. Sie redeten von den Romanen, die sie bald schreiben, von den Dramen und Radierungen, mit denen sie beginnen würden, sobald das leerstehende Zimmer aufgeräumt oder das jüngste Kind in der Schule sei. Aber im Laufe der Zeit, während Rosa mit ihrer Arbeit vorankam, sprachen sie immer von ihren Plänen, als seien sie leidtragende Eltern, die es nicht ertragen konnten, an ihre gesunden Nachkommen zu denken.
Sie nahm einen Reisewecker aus der linken oberen Schreibtischschublade, stellte ihn auf Viertel nach drei und legte ihn wieder zurück. Kurz bevor sie sich an die Arbeit machte, dachte sie daran, wie ruhig und harmonisch ihr Leben doch verlief. Sie fühlte sich wie ein Jongleur, der, durch lange Übung geschult,
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