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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Stempel auf alle Gegenstände drückt und kein klarer Gedanke imstande ist, die Verzauberung wegzuwischen. Buchträume aber kann man zunichte lächeln, wenn man will, denn man ist nicht allein, und man kennt sich zu gut dazu. Ich habe immer noch dein materielles deutsches Hirn zur Hand, um mich davon zu erholen.«
    Erwin ging es anders.
    Die Beschäftigung mit den mystischen Irrgängen des großen Dichters lenkte seinen Geist wieder in jene gefährlichen Winkel, in denen er nie gern weilte und denen er sich, er wußte nicht warum, fast zu nahe wußte, seit er dieses Haus betreten. Immerhin vermochte er es noch, sich durch geistige Beschäftigung der Gegenwart gänzlich zu entrücken.
    Ruskin, den er entdeckte, öffnete ihm eine neueWelt. Er spekulierte abstrakten Verknüpfungen nach, dem Geist im Kristall... halbentfaltete, seiner deutschen Jugend entstammende Keime drängten aufzubrechen; Gedankengange, halbverwirrt nun, die sich auf edle und heikle Stoffe bezogen, ketteten sich an, schienen danach zu verlangen, daß er sie zu schönem Gewebe füge. Er fühlte sich reif und trächtig von entstehenden Werken; ihm war, als habe er eine Metallader angeschürft und er meinte, es sei nur ein wenig System nötig, um sie voll aus dem Boden zu heben.
    Das Milieu, in dem er sich befand, dieses Haus, jedes Säulchen des Treppengeländers, jeder Laut der Pumpe dort unten und das Gebühren und Gespräch der seltenen Menschen, die kamen und gingen: – dies alles schien ihm so seltsam entrückt, schier traumhaft, so daß er zwischen diesen Möbeln, die doch noch von Menschennähe warm waren, umherging, als sei er ihnen stofflich gar nicht verwandt.
    Ihm war, als sei all dies nur ein Übergangsbegriff, der jederzeit über Bord geworfen werden könne; als trete alles rein unpersönlich in den Hintergrund und als benütze er es nur als Gast aus fremden Sphären, dessen schwache Spur ebensoschnell wieder erlöschen müsse. Denn nicht bloß dieses Haus schien ihm fremd selbst bei täglicher Benutzung: – all dieses sehr Gegenständliche und Grelle war ihm unverwandt, fremdartig bis in die kleinste Erscheinungsform hinein,ebenso wie dieser ganze kolossale Kontinent, den er wohl in seinen Lebensäußerungen verstand und objektiv richtig abschätzte, der ihm aber nichts zu sagen hatte, gleich wie er, Erwin, nichts in ihn hineinzutragen vermochte.
    Das war vielleicht ein Zustand und eine Empfindung, die keine Berechtigung hatte; aber seit seiner ersten Ankunft in der Neuen Welt war er sich dieses unpersönlichen Verhältnisses drückend bewußt gewesen. Die einzige Rettung schien ihm, die Umgebung als bloße Photographie, fast als Film zu betrachten, der sich vor ihm abrollte, vor ihm, der nichts sehnlicher wünschte, als wiederum ein Stück der verwitterten, aber geistig unendlich mehr befruchtenden Atmosphäre der Alten Welt zu sein.
    Mildred dachte primitiver. Sie hatte eine schlichte Tatsachenerkenntnis. Sie stellte ihre Gewohnheiten neben die fremden, verglich sie zu Ungunsten der fremden, und beruhigte sich dabei. Das Land beeinflußte sie nicht, ebensowenig wie es Erwin zu irgendwelcher Nachahmung verlockte.
    Noch rann die Fremde an ihnen ab, wie Tropfen von den Flügeln eines Wasservogels, noch waren sie voll heiterer Ironie ihrer Tradition behaglich ergeben. Sie hatten sich einen Modus zurechtgelegt, mit dem sie eine halbe Auskömmlichkeit mit dem Volk erzielten, und somit war es gut. Übrigens wäre alle Lebensphilosophie ja verschwendet gewesen, denn gegen ihren Willen saßen sie ohnehin isoliert da, allerAnsprüche an Menschen enthoben und spürten das fast noch als willkommene Gelegenheit, sich einmal über sich selbst klar zu werden... Er liebte ihre grauen, etwas strengen Augen unter den dunklen Brauen, die sich fast über der leicht gebogenen Nasenwurzel zusammenfanden; ihr schmales, helles Gesicht, ihr über den Ohren gestutztes Haar, das ihr im Verein mit den schmalen Hüften, der keuschen Knappheit der Brust und den energischen, kurzen Bewegungen etwas Knabenhaftes gab. Er liebte ihre klaren Gedankengänge, den unfehlbaren Instinkt, mit dem sie sein oft schweres und mühsames Empfinden zu formulieren und dadurch zu erledigen verstand. Er liebte die Unabhängigkeit ihres Wesens, diese heitere, selbstwillige Unabhängigkeit auf dem Hintergrund eines nationalen Gedankens, der ihm durch seine Vielfalt und Machtvollkommenheit in allen Ecken der Welt, in die er getragen wurde, imponierte; er liebte ihre etwas tiefe Stimme,

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