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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Leiber ohne Respekt vor den Wällen aus Mammon, die man zitternd zusammentrug...
    Die Seuche war in diesem heißen Sommer launisch wie ein Tornado. Wie ein kreiselförmiger Wirbelwind über Landschaften hüpft und wo er den Boden berührt, alles aussaugt, so daß Häuser, Bäume und Menschen wahllos emporspritzen, so grassierte die Seuche im Ostviertel, übersprang dann Dutzende von Straßen, in denen kein einziges Kind erkrankte, nistete sich wiederum in der Nähe des Broadway ein, schlug sich eine Bresche durchs Millionenviertel und gleichsam, wie um zu zeigen, was sie könne, riß sie sich zuweilen auch erwachsene Kinder heraus. Ohne Übergang dann tummelte sie sich in entlegenen ländlichen Distrikten und verschmähte auch die sandige Gegend von New Jersey nicht, um ihre ahnungslosen Opfer anzufallen.
    Man zergrübelte sich, hieß es, in Fachkreisen den Kopf, woher die Übertragung stamme. Insekten konnten kaum schuld sein, da man von so sporadischen Wanderungen der Keimträger nie gehört. Der Tod, so schlossen die Berichterstatter, feiere in diesem Sommer privatim sein kleines Fest. Es scheine dies eine Angelegenheit ganz für sein persönlichstes Vergnügen. Es sei als wäre in Europa eine erzwungene Atempause für ihn eingetreten, damit er sich zwischendurch hier ein wenig schadlos halten könne.
    Aufatmend legte Mildred das Blatt weg. Sie hatte kein Kind zu verlieren und Erwin war zu alt.
    Der Arzt, der jetzt erschien, war seiner Aussage nach überbürdet. Er hatte jedoch das Attest über den Blutbefund Erwins dabei und erklärte ohne Rücksicht, daß seine Diagnose ihn nicht getäuscht habe; es sei ein leichter Fall von Typhus. Er sagte das so nebenhin, halb mit sich selbst zufrieden; doch ein Herzschlag Mildreds setzte aus, so daß ihr Gesicht für Sekunden schneeweiß wurde und sie sich an die Stuhllehne klammerte. Der Doktor bemerkte dies Taumeln nicht, da sie im selben Moment ihre Haltung zurückfand. Wie ein Damokles-Schwert endlich herniedersaust auf Schultern, die halb bereit waren, sich ihm entgegenzustemmen und nun doch von der Wucht schmerzhaft zusammenzucken, so fiel diese Eröffnung auf Mildred herab.
    Doch nun das Gewicht auf ihr lag, konnte sie ihre Muskeln einstellen, sie langsam zurechtrückend zu sprödem Widerstand gegen die Zukunft ...
    Von den bunten Pillen sah der Doktor diesmal ab. Er förderte sogar eine schattenhafte Sachlichkeit zu Tage, die mit seinem sonstigen schnellfertigen Wesen in erfrischendem Gegensatze stand. Daß er unbedingtes Vertrauen in Mildred erweckte, davon war natürlich keine Rede, aber er gab sich Mühe, das sah sie, und so verzieh sie ihm den ersten Eindruck. Er stellte ein festes Programm auf: kaltes Bad um sechs Uhr, um das Fieber herabzudrücken, flüssige Nahrung in bescheidenen Quantitäten und keine Bewegung.Das war doch wenigstens etwas, woran man sich halten konnte. Das Herz Erwins sei nicht schlecht, meinte er, Hauptsache sei: Vermeiden jeder Überanstrengung. Drei Wochen lang dauere die Hauptattacke; eine halbe Woche sei herum, also bis in kurzem werde man ja schon wissen, wie er durchkomme. Mehr zu tun sei unmöglich, unter den Umständen auch nicht angebracht.
    Mildred hörte die knarrende Stimme wie aus weiter Ferne. Kaum war er aus dem Hause, als Madleen zum Vorschein kam, ihm nachspähte und erst, als sein Motor hinter der Ecke verschwand, den Mund auftat.
    Sie redete mit leiser bedeutungsschwangerer Stimme.
    »Der Mann dort,« sagte sie, »ist sehr verdächtig; man sollte ihn nicht zu Rate ziehen; er wird Mr. Notacker unfehlbar umbringen. Besonders mit seinen Pillen hat er schon große Verwüstung angerichtet!«
    »Diese Pillen seien des Teufels,« fuhr sie leise fort; »ein sehr böser Zauber stecke darin. Man habe ihr erzählt, daß neulich ein Knabe in einen Graben gefallen sei und sich das Sitzbein verstaucht habe. Er sei ganz gesund und munter gewesen, dieser Knabe; doch dann sei der Doktor mit seinen Pillen gekommen; habe behauptet, es sei ein Fall von Infantile Paralysis und habe ihm mit den Pillen in einer Viertelstunde den Garaus gemacht. Es seien grüne gewesen; sie warne Mildred schwer davor, Erwin mit grünenPillen traktieren zu lassen. Ob die blauen oder roten so schlimm seien, könne sie nicht sagen; aber die grünen seien das schnell wirkendste Gift, das man je erlebt habe.«
    Mildred, trotz ihrer trostlosen Lage, wurde auf diese Erzählung hin von unverhältnismäßiger Heiterkeit gepackt; von seltsam gewaltsamem Humor, der sich

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