Der neue Daniel
langweilige oder unaufrichtige Redensarten; und die waren ihr verhaßter noch als offenes Ignorieren.
Einmal läutete es an und siehe da: die zwitschernde Stimme der Miß Palmer war vom anderen Ende der Leitung hörbar: » How's the hospital? « Ob es Hohn war oder Teilnahme, war nicht festzustellen. Vielleicht sollte es eine kostenlose, humoristisch gemeinte Aufmunterung sein zum Durchhalten.
Doch Mildreds gereizter Zustand vertrug keine Zweideutigkeit mehr, und sie erledigte diese zwitschernde Stimme kurzerhand dadurch, daß sie das Hörrohr über den Haken zurückschlug, in der Hoffnung, die alte Jungfer werde am Geräusch dieses Abschlusses erkennen, wie sehr sie sich verrechnet habe. Erstaunlich blieb, daß diese gottgefällige Dame, die doch auf der anderen Seite der Straße wohnte, die paar Schritte scheute, um sich persönlich zu erkundigen.
Ihr Hymnus klang wie immer in der Dämmerung auf. Sie beanspruchte den lieben Gott offenbar so ausschließlich für sich, daß sie kaum auf den Gedanken kam, sie könne eine karge Portion des himmlischen Wohlwollens auch anderen gönnen. Mit dem Egoismus der halb Irren raffte sie Gnadenbeweise an sich und setzte sich darauf; vielleicht war sie auch der Meinung, daß mit diesen Privatandachten eine Fernwirkung erzielt werde – (was ja auch von ihrem Gesichtspunkt aus bequemer und praktischer schien).
Es hatte noch kein einziges Mal seit jenen Tagen geregnet. Plötzlich, ganz unvermutet, erschieneine etwa dreizehnjährige Negerin mit der Bemerkung, Madleen habe sie geschickt.
Madleen, die inzwischen wohl wieder nach New Port an die Ostseite gelangt war und dort Schauergeschichten über ihr sommerliches Abenteuer berichtete, hatte vielleicht eine Anwandlung von Reue verspürt und für einen Ersatz gesorgt.
Das Mädchen wohnte in der Negerkolonie und schlief auch dort. Somit riskierte sie nicht viel; denn sobald es dunkel war, verschwand sie wieder, um das von Geistern umwitterte Cottage zu solcher Stunde zu meiden. »Sie könne alles,« behauptete sie schlicht. Sie war trotz ihrer Jugend bereits voll entwickelt, mit straffen Brüsten, Hüften, von deren geschmeidigem Muskelspiel das dünne, kurze Röckchen nicht viel verbarg, und kraftstrotzenden Armen.
Sie packte ihre Arbeit an wie ein Raubtier, das sich auf Beute stürzt; war blitzschnell damit fertig und saß in den Pausen hinter dem Haus in der Sonne, Blätter durch die Zähne ziehend oder mit dem Frisieren ihres pudelartigen Haarwustes beschäftigt, den sie mit grobem Kamme unablässig strählte und mit Zitronensaft behandelte, um die Kräuselung zu verhindern. So, – hoffte sie, – würde man sie für eine Kubanerin halten.
Sie war etwas hellfarbiger als Madleen und konnte wohl Anspruch auf besseres Blut machen. Eine Gesellschaft oder gar eine Aussprache für Mildred bedeutete sie natürlich nicht. Aber sie erfülltedie Funktionen des gutdressierten Haustiers, gab bei jeder Gelegenheit, oft auch unvermittelt, platzende Lachsalven von sich; hatte ein albernes Gemüt und brachte auf diese Weise etwas Stimmung ins Haus.
Oft ließ sie sich auch ohne Bedenken beanspruchen, wenn sie grade mit dem Waschen ihrer Bluse – (der einzigen, die sie besaß) – beschäftigt war; und Mildred war zu tolerant gestimmt durch den Druck dieser Tage, zu abwechslungsbedürftig auch, um an der fröhlichen, gottgewollten Schamlosigkeit des halb nackten Naturkindes Anstoß zu nehmen... Im Gegenteil: dieser braune, biegsame, unkindlich starke Körper war fast eine Erholung für das Auge in einem Teil der Welt, der den Körper für Tabu erklärt.
Wenn Lia vor einem weißen Vorhang mit der dunklen Linie ihres Rückens oder der scharfen Silhouette eines hervorgleitenden Schenkels sich umherbewegte, so war es ein Stück Natur, was da neben ihr waltete und dem sie sich innerlich näher fühlte als den Leuten, mit denen das Schicksal sie zusammenwarf...
Zuweilen ließ Lia sich auch überreden, die Nacht hindurch dazubleiben. Sie hockte auf einem Kissen in der Nähe Mildreds, die sich der Anwesenheit des schwarzen Pudelkopfes zuweilen mit einem Blick versicherte. Dort war ja Hilfe und animalische Unterwerfung. Sie ging auf die primitiven Bedürfnisse des Menschenkindes ein und erntetedie Anhänglichkeit eines zugelaufenen Hundes dafür...
»Es gibt ein böses Wetter, Ma'm,« sagte Lia eines Morgens plötzlich. Um ganz im Dunkeln zu sein, trat sie halb in das Kämmerlein zurück, worin man Küchengerätschaften aufbewahrte. Dabei
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