Der neue Daniel
Gesellschaft, sie müßten noch heute kommen; noch heute! Verstehst du?«
Madleen hatte hinter ungewaschenen Tellern gesessen und mit den Zeigefingern Figuren im verschütteten Kaffee auf die Wachsleinwand gezeichnet. Sie fuhr zusammen, blickte ihre Herrin hündisch an, wich zurück und sagte eilig plappernd: »Jawohl, jawohl, ich gehe sofort, ich schicke sie her.«
Halb beruhigt sah Mildred noch kurze Zeit ihren eiligen Aufbruchsanstalten zu: wie sie sich die Schürze mit fettigen Fingern abnestelte und verschiedenes noch in halbe Ordnung setzte. Dann hörte sie sie dröhnend in ihre Kammer hinaufstapfen.
Mildred ging in das Wohnzimmer zurück, hörte Madleen herabkommen mit tierischem Schnaufenund mit einem Geräusch, als werde ein Sack voll Kartoffeln ruckweise hinuntergestoßen. Die Tür fiel hinten ins Schloß und sie wußte: »Gott sei Dank: sie ist unterwegs«.
Die Zeit verrann.
Es war nur noch eine Stunde vor der Dämmerung, als sich das Knirschen eines Wagens an der Ecke zur Einfahrt erhob.
Von zwei müden und fliegenumschwirrten Gäulen gezogen, schwankte ein Leiterwagen durch den mulmigen Sand. Er fuhr einmal ums Haus herum und kam dann vor dem Wohnzimmerfenster zum Stillstand.
In diesem Leiterwagen hockten sechs Arbeiter, in blaue Leinenanzüge aus einem Stück gekleidet. Sie saßen Rücken an Rücken, kauten Gummi und hängten die Beine durch die Stäbe heraus. Auf dem Bock saß niemand; es schien, als habe der Gaul von selbst den Weg gefunden.
Vorläufig blieben die Herren hocken und vergewisserten sich weiterkauend über das Terrain und die Lage des Hauses. Dann, mit jener fast katzenhaft lautlosen Selbstverständlichkeit, die amerikanische Mechaniker an sich haben, warfen sie die Werkzeuge einander zu (fingen sie sozusagen aus der Luft), und mit größter Ersparnis an Muskelkraft wurde ein wenig geraschelt und gehämmert.
Selbst das Hämmern klang so rücksichtsvoll, daß man es kaum vernahm!
Mildred hatte noch das Bild des ankommendenWagen mit diesem trägen Bündel von Beinen frisch im Gedächtnis, als sich derselbe Wagen schon wieder, – die Gesellschaft in gleicher Stellung wie vorhin zu fauler Gruppe vereinigt – in Bewegung setzte und im selben Tempo hinter der Wegbiegung verschwand. Die Leute hatten genau zwölf Minuten »gearbeitet«; und das Wunder war geschehen! Sie ging ins Eßzimmer; – das Telephon war da. Sie ging ums Haus herum: – der neue Leitungsdraht zur Isolierung der alten Telegraphenstange hinter dem Hause war gehängt und blitzte kupfern. Das Ganze glich einer Zauberei. – Und darauf , dachte sie voll Ingrimm, hat man nun vier Wochen gewartet!! –
Ein Haß gegen die rohe Launenhaftigkeit dieses Landes stieg verstörend in ihr auf. Dann kam ein Trost-Gefühl: »Jetzt wenigstens sind wir nicht mehr allein«.
Dies Gefühl der Lösung war so stark, daß der halbhumoristische Vorgang sie diesmal zu stillem Lächeln reizte.
Es wurde allmählich dunkel. Madleen war noch immer nicht zurück. Von rechts wegen hätte sie auf dem Leiterwagen mit den Arbeitern kommen müssen. Aber vielleicht hatte sie noch einen Besuch bei ihren Volksgenossen vor? –
Als es schon spät am Abend war, ging Mildred in Madleens Kammer hinauf. Die Kammer war leer. Der Handkoffer fehlte, alles war ausgeräumt.
Madleen war auf Nimmerwiedersehn verschwunden.
Was Mildred in der nächsten Zeit leistete, grenzte ans Übermenschliche. Sie besorgte die Arbeiten, die das Haus ihr auferlegte und wich dabei doch selten für länger aus der Nähe des Kranken.
Jeden Nachmittag schleppte sie ihn – denn ein Gehen konnte man seine haltlos torkelnde Bewegung nicht nennen – nach dem Badezimmer hinüber und half ihm in die Wanne. Der eisige Chok des Wassers drückte jedesmal die Temperatur um einige Grade hinunter; gerade tief genug, um das Fieber in Schach zu halten. Gleichwohl blieb es andauernd nicht allzufern der Grenze, wo eine Erschlaffung droht.
Die Straße der Verstörten verhielt sich während dieser Woche lautlos, obwohl sich Erwins Krankheit herumgesprochen haben mußte. Die Leute schienen, aus der Ferne beobachtend, zu lauern, was wohl aus dem einsamen Paar werden, wie es ihnen gelingen würde, sich allein durchzuhelfen. Dieses Schweigen und der Mangel jeder menschlichen Anteilnahme waren so ostentativ, daß sie auf der Gegenseite, nämlich Mildreds, dieselbe Empfindung verstärkt hervorriefen. Sie floh jetzt geradezu vor Menschen; denn alles, was sie gewärtigen konnte, waren ein paar
Weitere Kostenlose Bücher