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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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an der Grenzscheide klaren Denkens hielt und bald in kurzes Schluchzen überkippte. »Wie hätten wir dies doch genossen,« dachte sie dabei, »wenn Erwin gesund wäre.« Allein die Idee dieses Pillen-Doktors und seiner Pferdekuren ist Goldes wert heutzutage.
    Madleen bemerkte sofort, daß ihre Erzählung eine seltsame Wirkung hatte. Sie blickte ratlos auf die junge Frau; rollte ihre Augen dann hilfesuchend umher, daß man das Weiße sah, schüttelte den Kopf mit blitzartiger Drehbewegung des feisten Halses und ging, sich mehrmals nach Mildred umsehend (als bereite diese eine Attacke auf ihren Rücken vor) – aus dem Zimmer heraus.– Daß man lachen konnte, wo solche Dinge im Schwang seien, ging gänzlich über ihr Begriffsvermögen. Was da aus Mildred lachte, war ein böser Geist, vor dem man sich am besten verriegelte.
    In der Türe besann sie sich und kam zurück. Mildred merkte an dieser Wiederkehr – die mit gewisser Wucht und Bedeutsamkeit in Szene gesetzt ward – daß Madleen etwas zu sagen hatte; einen Trumpf darauf zu setzen habe, der ihr kleineseinsames Gelächter zerquetschen sollte wie die Maus unter dem Ziegelstein.
    »Sie lachen, junge Frau,« sagte Madleen, und ihre Augen blickten starr und kugelrund geradeaus. »Da gibt es nichts zu lachen. Aber ich weiß, der Böse lacht aus Ihnen. So ist es auch meinem Bruder gegangen, als er nach dem Osten kam. Schon in New Orleans war er als Trambahnführer gefürchtet, weil er die Kurven zu schnell nahm. Man verpflanzte ihn und er bekam als Kellner Stellung. Da fiel es schon auf, daß er mit Tellern um sich warf, wenn ihn was ärgerte. Seinen Boß, den griff er mit dem Messer an, als der ihm einen Dollar vom Lohn abzog, und er mußte in Sing-Sing Holz spalten und Hobelarbeit machen. Dort bekam er es nun zum erstenmal mit Instrumenten zu tun, und kaum war er draußen, wurde er Messerschmeißer und starb an einem epileptischen Anfall. – Ja, junge Frau, das ist der böse Geist, der in Ihnen sitzt. Meinen Bruder hat er unter die Erde gebracht. Sie wird er auch noch unter die Erde bringen. Sie und Ihren Mann, klaftertief. Es ist nicht gut, daß Menschen im Walde leben ganz für sich. Das habe ich mir gleich gedacht, wie ich herkam!« –
    Sie stand da, die Fäuste unter die ungeheuren Brüste gestemmt; und ihr pockennarbiges, schwammiges, dunkles Gesicht glich in diesem Moment einer Maske, so als habe jemand alle dicken Wülste herausgeplättet; all die Wülste, die sichsonst auf ihrer Stirn bildeten und ihr etwas Kindliches gaben. Nur oben unter dem verfilzten Kräuselhaar zuckte eine Hautpartie wie bei einem Pferd, das eine hartnäckige Bremse abschütteln will...
    Doch die Bremse, die an Madleens armem Kopf saß, war unverscheuchbar. Sie stach und sog den Rest an Logik, die sich noch in dem konfusen Negerhirn finden mochte, heraus. Wie lange wird es dauern, bis dies Geschöpf des Schlußvermögens gänzlich verlustig geht? – Bis es sich kreischender Triebhaftigkeit unter dem Einfluß der Kinder- und Negerdämonen überläßt? –
    Mildred stand plötzlich auf. Sie wuchs förmlich vor Madleen in die Höhe, wuchs in gestrafften Hüften; weiß, schlank, gebieterisch, und sandte einen stahlgrauen Blick durch sie hindurch.
    Vor diesem plötzlichen Inkrafttreten der Herrenrasse zuckte das Urwaldkind zusammen. Die Fäuste lockerten sich; die kugelrunden Augen schweiften wieder beiseite.
    »Halte den Mund, Madleen, und schwatze keinen Unsinn«, sagte Mildred mit scharfer Stimme. »Du gehörst überhaupt in die Küche.«
    Wiederum, nur etwas schwächer diesmal, schüttelte Madleen den Kopf; dann ging sie mit zögernden Schritten hinaus. Etwas Unausgesprochenes verblieb hinter ihr und Mildred sann ihr unmutig nach, ihr Taschentuch zerknitternd. Es war noch feucht von Lachtränen; oder waren es echte gewesen? Sie wußte es selbst nicht mehr genau.Nur eins kam ihr lähmend zu Bewußtsein: – »Das Telephon ist immer noch nicht instand gesetzt.« –
    Ratlos ging sie in den zwei unteren Räumen für die nächsten Stunden hin und her. Das Haus zu verlassen, wagte sie nicht. Der dort droben durfte keinen Augenblick allein gelassen werden. Von Fenster zu Fenster ging sie und starrte sich die Augen fast blind am flammenden Grün, kaum eines Gedankens fähig. Ihre Not wuchs, je länger der Nachmittag vorschritt.
    »Geh' ins Dorf, Madleen,« schrie sie der Negerin zu, plötzlich in die Küche brechend und mit dem Fuße stampfend: »Geh' ins Dorf und sage der verfluchten

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