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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Forschungsreisender auf und sagen, Sie wollten Ihre eigene Heimreise riskieren und selber bezahlen; dann können Sie Gift darauf nehmen, man schickt Ihnen noch eine Abschiedskapelle nach Hoboken.«
    »Ach,« sagte Erwin, »selbst wenn ich das könnte, wie stellen Sie sich das vor? Und meine Frau, die jetzt noch dazu guter Hoffnung ist!«
    »Nehmen Sie mit, nehmen Sie mit,« schrie Zuckschwerdt aufgeräumt. »Fahren nach Vigo, Handelsdampfer; werden eskortiert; du lieber Gott, ein Torpedo braucht ja nicht gerade für Sie parat zu liegen.«
    Erwin wurde mit äußerster Zeitersparnis in das Ford-Auto genötigt und Zuckschwerdt warf äußerste Schnelligkeit an. Man ratterte traumhaft schnell der Stadt entgegen.
    In der Madison-Avenue fiel es ihm noch nicht ein, sein Tempo zu dämpfen. Seine kümmerliche Maschine bohrte sich wie ein Pfeil in den geregelten Verkehr schmucker Privatkraftwagen oder kleiner elektrischer Vehikel, die sich blank poliert, luxuriös, mit leisem gesetzten Zirpen auf ihre morgendlichen Besorgungsrunden begaben.
    Er schoß vorwärts von plebejischem Geräusch begleitet wie ein Stinktier, das sich unter vornehme Rassehunde mischt.
    Immerhin hielt er die Schnelligkeit beim Anblick eines Polizisten, der den Verkehr an den Ecken regelte, in Gesetzesgrenzen; denn wenn sein Adlerauge auch keine Autorität anerkannte, diese fünfeinhalb bis sechs Fuß hohen Irländer mit ihren wirbelnden Hartholzstöckchen und schläfrigen Augen, die unter den breiten Schirmmützen hervor alles bemerkten, übten doch eine gewisse Dämpfung auf sein schwellendes Kraftbewußtsein aus.
    Das blaue Tuch, in das diese Wachtürme gehüllt waren, erzeugte ihm vielleicht Reminiszenzen an Uniformen; und das mochte ihn beeinflussen.
    Sobald er jedoch freie Bahn vor sich sah, marterte er die Maschine wieder mit kaltem Griff. Wenn sie über Pflaster strich, so schien es, als müsse sie ächzend aus allen Fugen gehen, und daß sie es nicht tat, war ein Wunder der Technik. Hatte sich nicht ein Mann, der nicht einmal orthographisch schreiben konnte, mit diesen rohen Motoren, mit diesen billigen Hartblechkonstruktionen zu einem der wenigen Krösusse hier gemacht, die das Schicksal von Hunderttausenden in der Hand hielten?! – Das Maschinchen ging nicht aus dem Leim, weil er und Zuckschwerdt es so wollten. –
    Man näherte sich den Milchglaslampen desBahnübergangs, und schnurrte etwas langsamer durch den schmutzigen Geschäftsdistrikt, wo ein Klumpen rußgeschwärzter Backsteinstrukturen über den anderen hinüberwuchtete. Hier existierten Dreck und Fäulnis nur, weil höchstgespannte Betriebsamkeit es keinem der hastenden, scheu blickenden Kreaturen zu erlauben schien, auch nur einen Moment den Fuß zu benutzen, um etwa einen verwesenden Kohlstrunk vom Trottoir zu schleudern.
    Zuweilen kamen, erstaunlicherweise, saubere Strecken. Man sah Gruppen gut, ja luxuriös gekleideter Menschen, die Zeit zu haben schienen. Sie standen in harmlose Gespräche versunken vor Zigarrenläden oder hielten Zeitungen entfaltet in der Hand. Man täusche sich jedoch nicht! – Das waren keine Unterhaltungen, die menschenwürdig im europäischen Sinne gewesen wären! Man lauerte sich die Börsenschwankungen von den Gesichtern ab. Man flüsterte sich eine Ziffer zu, die man etwa nebenbei aus den Privatleitungen benachbarter Bureaus gemolken. Von kleinen Bestechungen begünstigt, rafften tausend Privatinteressen ihre Nahrung aus den Hauptströmen der Kriegsnachrichten, die von Rechts wegen in die Zeitungsstenographenkammern hätten münden sollen. Der Krieg war aktiv, aktuell, war ein großes Geschäft, ein von Möglichkeiten unerhört strotzender Hintergrund für jeden einzelnen, bedeutete die Bereicherung des Individuums; und gewisse tönende Phrasen übersalbtenden schmierigen Tumult all der kleinen Instinkte, so daß das Ganze duftete und aussah wie das gut geschnittene Kleid eines Hochstaplers, der sich höchstens durch rastlose Finger oder unruhige Augen verrät. In Momenten auch, wo der fanatische Schulmeister in Washington eine besonders tönende Phrase gebrauchte, bekam der Krieg etwas Katholisches, wie die Prunk-Stola, mit der sich ein Jesuit Wirkungen stiehlt.
    Der Verkehr verdichtete sich und der große Strom der Fuhrwerke, der Gemüsekarren, Autos, Kohlenwagen, Lastfuhren, Reklamevehikel, vollbepackter Trambahnen wälzte sich unablässig die absteigende Straße dem Ohio-River und den großen Güterschuppen zu. Der Krieg saugte Betrieb aus allen

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