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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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das linke Bein pendelnd geschwungen hatte, saß in sich zusammengesunken ein kleiner Greis. »Greis« war vielleicht zuviel gesagt für ihn; immerhin war er ergraut und machte einen zusammengeschrumpften Eindruck. Er befand sich augenscheinlich in einer Art Träumerei, spielte mit einem Füllfederhalter und blickte apathisch vor sich hin.
    Als die beiden eintraten, standen sie noch eine Weile ratlos da. Dann nahm das Wesen hinten in der Ecke Notiz. Das Bein zog sich zurück, der Füllfederhalter rollte aus den Fingern und Haltung kam in diese uninteressierte Figur bis zu dem Grade, daß er sich halb erhob und mit einem Blick auf die Karte Zuckschwerdts in unverkennbarem Brogue äußerte: »Nehmen Sie Platz, Mr. Söckswert, mit Ihrem Freunde. Was kann ich für Sie tun?«
    Er sank zurück, gleich wie ein Bündel abgelegter Kleider, und zeigte eine abwartende Miene.
    Erwin und Zuckschwerdt nahmen auf zwei Stühlen Platz, die so gestellt waren, daß das volle Fensterlicht auf sie fiel, während der kleine Greis es vorzog, sich mehr im Schatten der Ecke zu halten. Während Zuckschwerdt begann, blickte Erwin sich um.
    Die Wände waren ölig grau, mit Photographien behängt. Woodrow Wilson blickte, etwas verschwommen vergrößert, aber immer noch in scharfen Konturen, von einer mit einem riesenhaftenSternenbanner umwickelten Tribüne herab. Hinter seinem Kopf und seinen Achseln hervor schimmerte, etwas weiter entfernt, eine Unmenge von kleineren Sternenbannern bis zu dem Miniaturfähnchen, das ihm aus dem Knopfloch seines korrekten Gehrockes blühte.
    Seine etwas töricht wirkenden Kinnladen waren herabgesunken, was auch dem Mund eine gerundete Öffnung gab, aus der Bedeutsames quoll. Die eine Hand war mit leichtgebogenem Arm auf die Tribüne gestützt mit jener Geste, die er vor dem Kongreß einzunehmen pflegte, wenn er begann: »My fellow citizens...« – Der andere Arm stand rechteckig in der Luft und die behandschuhte Rechte drohte mit unwirschem Zeigefinger.
    Der Marshall Attorney hatte sich offenbar eine Freiluftrede des Präsidenten zu seiner Privatandacht vergrößern lassen. Es schien eine Ansprache an die Studenten einer Universität, was aus der offiziellen Art der Bekleidung und dem weichen breitkrempigen Hut, der vor ihm auf der Tribüne lag, zu schließen war.
    Die andere Photographie zeigte den Marshall Attorney selbst bei einer festlichen Gelegenheit, seiner Amtseinsetzung, inmitten gutmütiger, bullenbeißerhafter Gestalten, die ihn im Kreise umringt hielten wie einen Edelstein, der in einer Gesteinsdruse sitzt. Einige etwas magere, aber unternehmungslustig dreinblickende Jünglinge in Kakhiuniform zeigten sich in weiterenBildern; und direkt über dem Schreibtisch schwebte wiederum der Gewaltige selbst im Kreise seiner Familie – Damen jeden Alters in wohlgefüllten Blusen, die ihn in ihrer waschleinenen Vehemenz in Schatten stellten. Er wirkte in diesem Bilde auch mehr als danebengesetzt und nicht als Mittelpunkt.
    Von dem Fountain Square herauf kam als dumpfes Getöse das Gebrüll der Zeitungsjungen. Durch das beschmutzte Glas hindurch sah Erwin, in der wabernden Hitze des Asphalts, ein Gewimmel zertretener Zeitungspapiere, die zuweilen ein kleiner staubiger Wirbelwind eine Strecke weit träg vom Platze drehte. Er sah die mächtig starrenden Geschäfteauslagen, zwölf bis fünfzehn Stock hoch, mit ungleichen Dächern in den lodernden Himmel getürmt ... Wo die Sonne durchbrach, glich sie einer Wand von Licht, die scharf durch den Platz hindurchschnitt und den europäischen Zierbrunnen darauf, der sich so lächerlich wie möglich ausnahm inmitten dieser Umgebung, sowie die mannshohen Firmenbuchstaben in gleißendes Licht setzte. Von dem Gefunkel der schreienden Reklame schmerzten ihm die Augen. Er unterließ weitere Beobachtungen und wandte seine Aufmerksamkeit dem Gespräch zwischen dem Attorney und Zuckschwerdt zu.
    Hin- und Herrede waren voll subtiler Höflichkeit. Zuckschwerdt saß auf der Kante des Stuhles und wippte rhythmisch mit dem Oberkörper,was teils ein Unterstreichen des Gesagten, teils eine kleine jeweilige Verbeugung gegen den Machthaber bedeuten sollte. Er redete viel und mit dem knarrenden Akzent, den er nicht ohne Geschick der Bevölkerung abgelauscht. Er bemühte sich, Silben durch ein Loch in der Ecke seines Mundes entkommen zu lassen oder in der Nasenhöhle aufzufangen, wie es die bequemen jungen Leute hierzulande machten, die ihre Rede auf ein paar gehackte Ausdrücke

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