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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Winkeln. Die Luft fieberte von Bestellungen.
    Ein Frachtzug löste dort den andern ab. Dies war ein Zeitpunkt, wo sich im Kleinen zeigte, was im Großen vor sich ging; wo alle Staaten Amerikas ihr Eisenbahnnetz mit Produkten aller Art belasteten, um das größte Stapellager, was die Welt je gesehen hat, in Philadelphia und New York anzuhäufen; um den großen Nährberg zu schaffen als Hintergrund für die anderthalb Millionen ungewitzter Kakhihelden, die noch im Verlauf dieser großen Reklamedemonstration für die Neue Welt hinübergeschafft werden sollten.
    Erwin wußte das nicht. Er fühlte nur dumpf den großen Puls, der heftig in dieser Stadt zu schlagen begann, einer Stadt, die ihm irgendwieidyllischer erschienen war als die großen Metropolen, die er bis jetzt gesehen.
    Wie er hergekommen war, war das Lebenstempo dieser durch Inzucht halb verkommenen oder mit indianischem oder jüdischem Blut buntdurchsetzten Bevölkerung sehr viel besinnlicher gewesen. Jetzt schien es, als seien sie alle mit einem Serum geimpft, das sie doppelt schnell agieren ließ. Ihm schwante Ungeheuerliches; ihm schwante, daß der Moment kommen müsse, wo diese langsam sich aufpeitschende Masse einen Grad von Hysterie erreichen werde, der sie zu Tieren mache.
    Während er dies dachte, blickte er Zuckschwerdt an, der, die Zigarre zwischen feuchten Lippen kauend, schläfrig fast in seiner unerschütterlichen Ruhe wie eine Sphynx oder ein unantastbarer Geschäftsmann (der alles bereits in der Tasche hatte, dem man nichts neues mehr bieten konnte) neben ihm am Lenkrad hockte. Er bewunderte ihn. Er sagte sich, »Bin ich nervös? Bin ich vielleicht überspannt? Spielt meine Phantasie mir unnötige Streiche? Denkt nicht dieser hier viel praktischer? Vielleicht hat er recht, wenn er sagt, ich soll mich von ihm ins Schlepptau nehmen lassen! – Vielleicht ist er doch imstande, mir eine Bresche zu schlagen, daß ich mit all meinen Hemmungen noch leidlich vorwärts komme, ohne mich an allen weichen Stellen blutig zu stoßen!«
    Zuckschwerdt gebrauchte die Hupe mit gröhlender Rücksichtslosigkeit. Er sprengte die Menschen auseinander. Sie starrten nach ihm wie aufgescheuchteRaubtiere. »Tierbändiger«, mußte Erwin denken.
    Zuckschwerdt hatte eine Hupe an seinem traurigen Beförderungsmittel, die diesem einen Dunst unfreiwilligen Respektes schuf. Er drückte sie kurz mit eisernem Daumen, und sie knarrte und kläffte. Nichts dunkel Langgezogenes hatte der Ton, nein: etwas an den Hals Springendes, Luftraubendes. »Ein Mensch, der so einen Lärm macht, kann kein Landesfeind sein«, war seine Berechnung offenbar, und die Ansicht auch der Passanten. Hatte man je so einen Bluff gesehen?
    Erwin war stumm und weich vor Erstaunen.

Der kleine Greis
    Endlich landete man auf dem Fountain-Square. Hier war das große Rathaus, das in seinen oberen Stockwerken das »Home Department« barg.
    Zuckschwerdt hielt mit Aplomb und ließ das Vehikel stehen, wo es stand, ohne Sicherung.
    »Wird mir keiner stehlen,« sagte er, »das ist der Vorteil davon. Jetzt passen Sie auf, nehmen noch ein paar Instruktionen. – Ich kenne den Marshall Attorney nicht selbst, habe aber gehört, daß er ein ganz patenter alter Kerl sein soll. Nun und was so diese versoffenen Beamten sind, die kann man um den Finger wickeln, wenn man sie richtig anpackt. Schmieren ihm einwenig Honig ums Maul, das genügt und er frißt aus der Hand. Lassen Sie mich nur reden, ich deichsle den Kitt schon. Machen Sie die Klappe nicht auf, – Pardon, ich meine, äußern Sie keine Zwischenbemerkungen, bis ich mit meiner Erklärung fertig bin. Ich will mir den Mann beaugenscheinigen, will ihm die Würmer erst aus der Nase ziehen und dann, wenn ich Ihnen so mit den Augen zwinkere, dann legen Sie los und erzählen ihm von Ihrem Pech, daß Sie militäruntauglich wären, Atteste bringen könnten, Ihr Herz wäre kaput oder Ihre Nieren oder Sie hätten Plattfüße oder irgend etwas derartiges. Für die Atteste sorge ich dann schon. Spielen sich als Forschungsreisenden auf, von x-woher verschlagen, schrieben friedliche wissenschaftliche Sachen und brauchten Literatur, die Sie hier nicht kriegen könnten. Ihre Devise sei kurz: friedliche Kultur fortführen, das imponiert. Krieg ist für Sie 'ne Hirnverranntheit, sind blonder Pazifist, harmloser Bürger oder was Sie gerade sagen wollen. Wie gesagt, wirken Sie auf das Gemüt. Solche Gemütskisten ziehen hier, wenn man an den Richtigen kommt. Habe mir sagen lassen, der

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