Der neue Frühling
vorbereitet sind. Nur Yissou mag wissen, was in den Gehirnen von Hjjks vorgeht, aber wenn ich die Königin wäre, ich würde die Ermordung meines Gesandten wahrhaftig als eine höchst gravierende Provokation betrachten. Effektiv als einen Akt feindseliger Aggression und Anlaß für Krieg. Und wir sind noch längst nicht so weit, daß wir es mit ihnen aufnehmen könnten.«
»Ich stimme zu. Doch es handelt sich ja nicht um einen derartigen Akt der Provokation. Bedenke doch, Edle…« Er zählte seine Fakten an den Fingern auf. »Erstens: Sein Gesandtschaftsauftrag war erfüllt. Er hatte seine Botschaft überbracht, und zu weiterem war er nicht befugt. Er war nicht als Unterhändler hergeschickt, sondern nur als ein Bote – und nicht einmal ein besonders fähiger. Zweitens: Er war Bürger dieser unsrer Stadt und nach einer langen, langen Abwesenheit, einer Folge seiner Entführung, hierher zurückgekehrt. Er war also in keiner Weise Untertan der Königin. Er hatte sich nur in ihrem Machtbereich befunden, weil ihre Leute ihn uns gestohlen hatten. Welchen Anspruch auf ihn könnte sie geltend machen? Drittens: Es bestehen keine regulären Kontakte zwischen Dawinno und dem NEST, also auch kaum Grund zu Befürchtungen, daß die dort je erfahren, was aus ihm geworden ist, vorausgesetzt, es kümmert sie überhaupt. Wenn wir auf ihr Vertragsangebot antworten, falls wir das überhaupt tun, sind wir in keiner Weise verpflichtet, irgendwelche Auskünfte über Kundalimons eventuellen Aufenthaltsort zu liefern. Und vielleicht antworten wir ihnen ja überhaupt nicht. Viertens…«
»Nein!« sagte Taniane schneidend. »In Yissous Namen, keine weiteren Hypothesen! Hört dein Hirn denn nie auf zu ticken, Husathirn Mueri?«
»Nur wenn ich schlafe. Vielleicht.«
»Dann begib dich in dein Bett. Und ich verzieh mich endlich in meins. Du hast mich überzeugt. Die Ermordung dieses jungen Mannes wird uns nicht die Hjjks auf den Hals laden. Dennoch ist unserer Gemeinschaft eine tiefe Wunde geschlagen worden, und die läßt sich nur heilen, wenn diese Mörder gefunden werden.«
»Der im Fall des Kundalimon ist meiner Überzeugung nach bereits selbst schon tot.«
»Nun, dann treibt sich aber immer noch mindestens ein Mörder frei unter uns herum. Ich beauftrage dich, ihn ausfindig und dingfest zu machen, Husathirn Mueri.«
»Ich werde keine Mühe scheuen, Herrin. Darauf kannst du dich verlassen.«
Er verneigte sich und ging. Sie blickte ihm nach, bis er an der Biegung des Korridors ihren Augen entschwand.
Endlich war der Tag zu Ende. Also, auf nach Hause jetzt. Hresh wartete dort schon auf sie. Die Nachricht vom Tode Kundalimons hatte ihn schwerer getroffen, als sie erwartet hätte. Selten hatte sie ihn so bekümmert gesehen. Und dann – Nialli! Das Kind mußte gefunden werden! Man mußte sie trösten…
Es war wirklich ein sehr langer Tag gewesen.
Hier ist tiefste Tropenwildnis. Die Luft klebt im Hals mit jedem Atemzug, und der Boden ist weich und federnd unter jedem Schritt wie ein nasser Schwamm. Nialli Apuilana hat keine Ahnung, wie weit von der Stadt weg sie geflohen ist. Sie hat überhaupt keine klaren Vorstellungen. Ihr Kopf ist von Gram und Schmerz ganz verstopft. Es fließen keine Gedanken.
Anstelle des Denkens gibt es jetzt nur noch ihr Zweites Gesicht, das auf irgendeine Weise automatisch funktioniert und ihr in dumpfen pulsenden Schüben Informationen über ihre Umgebung übermittelt. Sie hat ein Bewußtsein der Stadt, weit in ihrem Rücken, wo sie auf ihren Hügeln hockt wie ein riesenhaftes Ungeheuer mit unzähligen Fangarmen, ein Ungeheuer aus Ziegeln und Steinen, das Wellen kalten bedrohlichen Unheils ausstrahlt. Sie spürt die Sümpfe, durch die sie rennt, und das verborgene, große und kleine Leben, von dem sie erfüllt sind. Sie spürt die Weite des Kontinents, der sich vor ihr erstreckt. Doch nichts ist klar, alles ist ohne Zusammenhang. Einzig real ist nur die Flucht selbst für sie, der wahnsinnhafte brüllende Drang – zu laufen, laufen und laufen.
Eine Nacht und ein Tag und eine weitere Nacht und fast ein voller Tag sind verstrichen, seit sie aus Dawinno floh. Einen Teil des Weges war sie auf einem Xlendi geritten, das sie unbarmherzig in das südliche Seengebiet vorangetrieben hatte; doch irgendwo spät am ersten Tag der Flucht hatte sie an einem Bach haltgemacht, um zu trinken, und das Xlendi war davongewandert. Und seitdem ist sie zu Fuß weitergeirrt. Sie hält kaum an, außer um ein, zwei Stunden lang
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