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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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sämtlicher Götter nervös immer wieder und wieder.
    »Was ist denn?« fragte Hresh.
    Und sie schüttelt nur langsam den Kopf. Auch sie macht jetzt die heiligen Zeichen. »Yissou sei uns gnädig!« sagt sie mit seltsam tonloser Stimme und wiederholt es mehrere Male.
    »Mutter?« Nialli, fragend.
    Hresh ergreift Taniane am Handgelenk. »Bei den Göttern, Taniane, so sag mir schon, was passiert ist!«
    »Ach, Nialli, meine Nialli…«
    »Mutter, also, bitte…«
    Mit einer Stimme, die wie aus einer Gruft zu dringen scheint, sagt Taniane: »Der junge Mann, der von den Hjjks zu uns gekommen ist, der Abgesandte…«
    Nialli, ärgerlich: »Was ist denn, Mutter? Ist was mit ihm?«
    »Man hat ihn vor kurzem in einer Gasse gefunden. An der Straße vom Mueri-Haus. Tot. Erwürgt.«
    »Götter!« krächzt Hresh.
    Und er breitet für Nialli die Arme aus, um sie zu umfangen und sie zu trösten. Doch er kommt damit zu spät. Das Mädchen stößt einen entsetzlichen Schrei aus, macht kehrt, springt wild vor Schmerz über die Logenbrüstung und stürzt sich in die Menschenmenge, die sie mit der Kraft einer Tobsüchtigen aus dem Weg stößt, als wären die Leute Strohhalme. Dann sieht er sie nicht mehr. Und gleich danach kommt ein zweiter Wachsoldat angekeucht, schnaubend und so täppisch wie ein Cafala, und klammert sich mit irrem Blick atemlos mit beiden Händen an die Logenbrüstung, als wollte er die Welt zum Stillstand bringen, und blubbert: »Herrin! Edle! Im Stadion ist ein Mord passiert! Herrin, unser Wachhauptmann… der Chef…«
    Es war fast Mitternacht. Der Regen hatte aufgehört, und überall stiegen dichte weiße Nebelschwaden vom Boden auf wie die Scheinleiber der Toten, die sich in die Lüfte erheben. Die wichtigsten Mitglieder des Präsidiums saßen schon den ganzen Abend über in einer Krisensitzung und berieten – es war ihnen allen als vernünftigster politischer Schachzug –, und sie hatten endlos über die zwei Morde geredet und kein Ende gefunden, als könnte das Bereden die Toten zurückbringen. Am Ende hatte Taniane sie allesamt weggeschickt und die Sitzung als ergebnislos vertagt. Nur Husathirn Mueri war geblieben. Sie hatte ihn darum gebeten.
    Der Häuptling war einem Zusammenbruch nahe. Der Tag war ihr so lang erschienen, als hätte er tausend Jahre gedauert.
    Nicht ein Mord, sondern gleich zwei. Tod durch Gewalteinflüsse war in der Stadt nahezu unbekannt. Und an einem einzigen Tag hatte es nun gleich zwei Fälle gegeben. Und dies noch dazu am Nationalfeiertag!
    Sie blickte Husathirn Mueri kalt und scharf an. »Ich habe dir nur aufgetragen, seiner Predigerei ein Ende zu machen, nicht ihn umbringen zu lassen. Was bist du für eine Bestie, einen Menschen einfach so ermorden zu lassen?«
    »Edle, es lag ebensowenig in meiner Absicht, daß er getötet werde, wie in deiner«, sagte Husathirn Mueri heiser.
    »Trotzdem hast du deinen Wachhauptmann losgeschickt mit eben diesem Auftrag.«
    »Nein. Ich schwöre dir, Herrin, nein!« Er sah ebenso mitgenommen und erschöpft aus, wie sie selber sich fühlte. Sein schwarzes Fell hing schwer von Schweiß an ihm, und die weißen Streifen darin waren stumpfgrau vom öligen Schmutz des ganzen Tages. Die bernsteinfarbenen Augen wiesen den glasigen Schimmer äußerster Erschöpfung auf. Er ließ sich auf die Steinbank vor dem Arbeitstisch fallen und sagte: »Ich habe Curabayn Bangkea nicht mehr gesagt, als was du mir gesagt hast: Daß er ihn zum Schweigen bringen soll, daß er dafür sorgen soll, daß der nicht weiter predigt. Ich habe nicht ein einziges Wort über Töten gesagt. Wenn also Curabayn Bangkea ihn ermordet hat, dann war das ganz allein seine Idee.«
    » Wenn er ihn getötet hat?«
    »Das wird sich schwerlich jemals ermitteln lassen, oder?«
    »Aber der Würgeschal, den er benutzte, war doch um sein Handgelenk geschlungen.«
    »Nein«, erwiderte Husathirn Mueri müde. »Als man ihn fand, trug er ein Strangulationstuch bei sich, da gebe ich dir recht. Aber viele Männer von der Art dieses Curabayn Bangkea schmücken sich mit Würgebändern, vorwiegend aus ornamentalen, denn aus zweckmäßigen Gründen. Daß er ein solches Band am Arm trug, beweist gar nichts. Noch ist es ein gesicherter Beweis, daß damit dieser Kundalimon getötet wurde. Und selbst falls dies der Fall gewesen sein sollte, Herrin, besteht immer noch die Möglichkeit, daß der, der Kundalimon tötete, auch der Mörder von Curabayn Bangkea ist und ihm das Band nur an den Arm gebunden hat, um den

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