Der neue Frühling
und hämmerte erneut auf den Hochtisch.
In den verebbenden Lärm des ungebärdigen Gremiums hinein sprach sie: »Wenn auch der Chronist zu keiner klaren Stellungnahme zu unserem strittigen Tagesordnungspunkt bereit ist, der Häuptling ist es sehr wohl!«
Sie beugte sich nach vorn und funkelte die Frontbänkler scharf an. Beiläufig, beinahe als sei ihr nicht bewußt, was sie tat, nahm sie die Häuptlingsmaske und drückte sie, das Gesicht zum Saal, an die Brust. Es war eine monströse, eine prachtvolle gelbe Maske mit schwarzer Spitze, einem gewaltigen grausamen Schnabel und gezackten Projektionen an den Kanten: beinahe eine Hjjk-Maske. Die Wirkung dabei war so, als nagte sich ein Hjjk aus ihrem Innern heraus und sei urplötzlich mit dem Kopf voraus auf ihrer Brust ans Licht gebrochen.
Schweigend stand sie da. Nur um einen Lidschlag zu lang. Das Gemurmel hob erneut an, und lautere Auseinandersetzungen brachen aus.
»Will die Versammlung mich jetzt reden lassen?« schrie Taniane. Und dann mit zornbebender Stimme: »Laßt mich reden! Ich will reden!«
»Götter! Werdet ihr sie endlich reden lassen?« brüllte Thu-Kimnibol mit Donnerstimme und richtete sich halbwegs zu seiner gigantischen Länge auf, und Augenblicke später wurde es still im Saal.
»Ich danke euch«, sagte Taniane mit wütendem Gesichtsausdruck. Ihre Finger glitten geschäftig über den Rand der Maske, die sie an die Brust gepreßt hielt. »Es gibt nur eine einzige Frage«, sprach sie, »mit der wir uns befassen müssen: Was bringt uns dieser Vertrag effektiv an Positivem, wenn wir dafür unseren Anspruch auf drei Viertel der Welt verschenken?«
»Frieden«, sagte Puit Kjai.
»Frieden? Wir haben Frieden. Die Hjjks sind für uns keine Bedrohung. Das einzige Mal, daß sie uns bekriegt haben, haben wir sie niedergemetzelt. Habt ihr das denn vergessen? Das war, als sie Yissou angriffen, die Harruel damals soeben erst gegründet hatte, und wir alle eilten ihm zu Hilfe. Du warst doch dabei, Staip, und du auch, Boldirinthe. Und Thu-Kimnibol – du warst damals nur ein Knabe, aber ich habe gesehen, wie du die Hjjks an jenem Tag zu Dutzenden niedergemacht hast, Seite an Seite mit deinem Vater Harruel. Als der Tag sich neigte, war das Feld übersät von den Gefallenen der Hjjks, und die Stadt war gerettet.«
»Es war aber Hresh, der sie geschlagen hat«, sagte Staip. »Mit seinem Zauberzeug, das er in der Großweltstadt gefunden hat. Das hat sie verschlungen. Ich war dort. Ich hab es gesehen.«
»Ja, das spielte teilweise eine Rolle«, konterte Taniane. »Aber nur zum Teil. Der Feind war nicht fähig, unseren Kriegern zu widerstehen. Wir hatten an jenem Tage nichts zu befürchten von den Hjjks. Wir brauchen sie auch heute nicht zu fürchten. Sie hängen da droben im Norden herum wie zornige summende Bienen, doch wir wissen, sie haben keine wirkliche Macht über uns. Sie sind abscheulich, gewiß. Es sind widerliche, abstoßende Kreaturen. Doch sie ziehen nicht länger in größerer Zahl auf Raubzüge aus. Hin und wieder dringt ein kleiner Spähtrupp ein, und das…« – sie warf Nialli Apuilana einen bedeutungsvollen Blick zu – »bringt uns dann ab und zu Kummer und Leid. Doch sind derartige Vorfälle, Yissou sei Dank, immer seltener geworden. Wenn wir pro Jahr auf drei Hjjks in unserer Provinz stoßen, dann ist das bereits die Ausnahme. Also brauchen wir uns nicht in Angst und Schrecken vor ihnen zu winden. Gewiß, sie sind unsere Feinde, aber wir können ihnen standhalten, wann immer sie es wagen, uns herauszufordern. Wenn sie über uns herfallen, dann können und werden wir sie zurückschlagen! Warum also sollten wir ihnen gestatten, uns ein Vertragsdiktat aufzuzwingen? Hier und heute bieten sie uns großzügig an, daß wir unser eigenes Land behalten dürften, falls wir nur den Rest der Welt ihnen überlassen. Was ist denn dies für eine Offerte? Wer unter euch kann darin etwas Verdienstvolles sehen? Wer von euch sieht da einen Nutzen für uns?«
»Ich!« sagte Puit Kjai.
Taniane nickte, Puit Kjai erhob sich und trat ans Rednerpult. Er war ein hagerer, kantiger, nicht mehr ganz junger Mann mit dem üppigen Goldpelz und den leuchtenden Sonnenuntergangsaugen des reinrassigen Beng. Er hatte die Nachfolge seines Vaters, des weisen verschrumpelten Noum om Beng als Hüter der Beng-Historie angetreten. Doch nach der Verschmelzung der Stämme hatte er seine Amtspflichten an Hresh abgetreten und statt dessen eine Stellung im Justizministerium
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