Der neue Frühling
sitzen hier schon stundenlang herum und warten.«
»Ach, das sieht nur so aus«, sagte Thu-Kimnibol. »Im Kokon haben wir viel länger warten müssen, ehe wir den Auszug wagen durften. Siebenhundertmal tausend Jahre, waren es nicht so viele? Das hier ist doch nur ein Augenzwinkern.«
Husathirn Mueri grinste säuerlich und wandte den Blick ab.
Und dann stürzte überraschend Nialli Apuilana herein, atemlos und mit ganz unordentlicher Mantilla und Schärpe.
Sie sah aus, als wäre sie bestürzt, daß sie auf einmal an diesem Ort war. Sie blinzelte, rang nach Luft und starrte eine ganze Weile die versammelten Notablen in unverhohlener Ehrfurcht an. Dann huschte sie zu einem freien Sitz in der vordersten Bankreihe neben Puit Kjai.
»Sie?« sagte Husathirn Mueri. »Auf die haben wir die ganze Zeit gewartet? Das verstehe ich nicht.«
»Still, Gevatter!«
»Aber…«
»So sei doch still!« wiederholte Thu-Kimnibol beißender.
Taniane erhob sich und strich mit den Händen sacht über die Häuptlingsmaske vor ihr. »Nun können wir beginnen. Dies ist die abschließende Sitzung mit Beschlußfassung bezüglich eines Vertragsvorschlages über bilaterale Anerkennung territorialer Ansprüche, den die Hjjks unterbreitet haben. Ich rufe als ersten Redner auf: Hresh-den-Chronisten.«
Der Chronist erhob sich langsam.
Er räusperte sich, blickte sich im Saal um, ließ den Blick auf diesem und jenem Hochwohlgeborenen eindringlich ruhen und sagte schließlich: »Ich möchte mit der Rekapitulation der Bedingungen dieses Vertragsangebots der Hjjk beginnen, wie ich sie vermittels des Barak Dayir aus dem Bewußtsein des hjjkischen Emissärs Kundalimon eruiert habe.« Er hielt ein breites glattes gelbliches Pergament in die Höhe, auf dem in kräftigen braunen Linien eine Landkarte gezeichnet war. »Hier unten ist die Stadt Dawinno, wo das kontinentale Land sich zum Meer hinausstülpt. Hier ist die Stadt Yissou, nördlich von uns. Und hier, jenseits von Yissou, liegt Vengiboneeza. Alles, was nördlich von Vengiboneeza liegt, ist unbestreitbares Hjjk-Gebiet.«
Hresh hielt inne und blickte erneut durch den Saal, als prüfte er die Anwesenheitsliste.
»Die Königin«, fuhr er sodann fort, »schlägt uns eine Demarkationslinie vor zwischen Vengiboneeza und Yissou, von der Küste des Meeres quer durch die Nordhälfte des Kontinents, vorbei an dem großen Zentralfluß, der einst als der Hallimalla bekannt war, und dann weiter bis zum Gestade des anderen Meeres, das unserer Überzeugung nach am östlichen Rand des Kontinents die Begrenzung bildet. Könnt ihr alle diese Demarkationslinie sehen?«
»Klar, wir sehen, wie die Linie verläuft!« sagte Thu-Kimnibol.
Die scharlachrot gefleckten Augen des Chronisten begannen ärgerlich zu funkeln. »Natürlich. Ja, also sicher könnt ihr. Verzeih mir, Bruder.« Und ein flüchtiges Pro-forma-Lächeln. »Aber weiter: Die Grenzlinie ist so angesetzt, daß die derzeitige Territorialaufteilung erhalten bleibt. Was die Hjjks jetzt in Besitz haben, soll für ewige Zeiten unbestritten ihnen gehören. Unser Teil gehört dann ebenfalls unstrittig uns. Die Königin bietet die Garantie an, sämtliche Hjjks unter Ihrem Regime – und, soweit ich es verstanden habe, herrscht die Königin über sämtliche Hjjks der ganzen Welt – per Dekret am Betreten des VOLKS-Territoriums zu hindern, es sei denn, es geschehe durch unsere ausdrückliche Einladung und mit unserer Billigung. Und kein Angehöriger des VOLKES soll ohne Erlaubnis der Königin das Hjjk-Territorium nördlich von Yissou betreten.
Dies ist die erste Vertragsbedingung. Aber es gibt weitere.
Erstens bietet die Königin uns ‚spirituelle Leitung’ an; also etwa Unterweisung in Glaubenskonzepten, die vage als ‚Nest-Wahrheit’ und ‚Königin-Liebe’ bekannt sind. Dabei scheint es sich um speziell hjjkische religionsphilosophische Ideen zu handeln. Wieso die Königin glaubt, daß diese für uns von Interesse sein könnten, vermag ich mir nicht vorzustellen. Jedenfalls wird vorgeschlagen, daß Spezialberater und Instruktoren der Nest-Wahrheit und Königin-Liebe bei uns in der Stadt – also, in sämtlichen Sieben Städten – sich niederlassen und uns die wahren Grundsätze dieser Konzepte lehren sollen.«
»Das kann doch wohl nur ein Witz sein!« blökte Kartafirain. »Hjjk-Missionare, hier mitten unter uns, die uns ihr verrücktes Blahblah vorsabbern? Hjjk-Agenten, das würde ich sagen. Und mitten in unsrer Stadt! Glaubt denn die Königin,
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