Der neue Frühling
eindringen, so hoch er sie auch auftürmen mochte, selbst wenn er seinen Wall bis durch die Himmelsdecke hinaufbaute.
»Ich glaube, wir machen sie noch ein bißchen höher«, sagte Salaman dann oft, indem er mit beiden Händen durch die Luft fuhr. »Drei Lagen mehr, vielleicht auch vier.«
Und die Baumeister und Maurer seufzten. Denn je mehr Salamans Bollwerk in die Höhe wuchs, desto öfter mußten sämtliche Brustwehren und Zinnen und Umgänge und Ausluge und Wachtürme, die bereits an den höchsten Stellen errichtet waren, abgerissen werden, um den neuen Lagen von Steinquadern Platz zu machen; und hinterher mußten sie dann wieder neu erbaut werden, und dann wurden sie wieder abgerissen, wenn Salamans unstillbare Gelüste ihn veranlaßten, wieder eine oder zwei Lagen mehr zu fordern. Und so ging es eben immer weiter.
Doch man war daran gewöhnt. Diese Mauer war eine Zwangsvorstellung bei Salaman, und sie war zugleich sein liebstes Spielzeug und das Denkmal, das er sich setzen wollte. Sie würde höher und immer höher wachsen, so lange er König war. Das wußte ein jeglicher in der Stadt. Und es hätte große Ratlosigkeit geherrscht, hätte Salaman eines Nachmittags erklärt: »So, Leute, jetzt ist die Mauer fertig. Wir sind gegen jeden nur erdenklichen Feind geschützt. Also geht schön brav nach Hause, ihr alle, und morgen sucht ihr euch einen neuen Job.«
Daß dies geschehen würde, war kaum zu befürchten. Die Mauer würde nie hoch genug sein.
Der König stampfte erneut mit dem Fuß auf. Er stellte sich vor, sein Wall schicke lange feste Wurzeln aus und verhafte sich damit tief im Innern der Erde. Er lachte. Zu Biterulve sprach er: »Junge, begreifst du, was ich hier geschaffen habe? Ich habe eine Mauer gebaut, die zehnmal hunderttausend Jahre lang stehen wird – ach was, tausendmal hunderttausend. Die Welt wird alt werden und greis, und sie wird einmal eine Größe erreichen, neben der die Große Welt wie ein klägliches Nichts erscheinen wird, und dann werden die Menschen diese Mauer sehen und sagen: ‚Dies ist die Mauer König Salamans, der in Yissou herrschte, als die Welt noch jung war.’«
Ein schlaues Lächeln breitete sich auf Biterulves Gesicht aus, als er sagte: »Ach, ist die Welt jetzt jung, Vater? Ich hab immer geglaubt, sie ist sehr alt, und wir leben in den letzten Tagen.«
»Das tun wir. Aber für die nach uns wird unsere Epoche wie eine Frühzeit erscheinen.«
»Aber wie alt ist dann die Welt, was glaubst du?«
Der König lächelte in sich hinein. Der Kleine erinnerte ihn an Hresh manchmal. An den jungen Hresh, der immer voller Fragen war. Achselzuckend sagte er: »Die Welt ist mindestens zwei Millionen Jahre alt, vielleicht auch drei.«
»Ach, meinst du wirklich? Aber wenn seit dem Untergang der Großen Welt siebenmal hunderttausend Jahre vergangen sind und wenn es vor der Großen Welt eine Zeit gab, in der die Menschlichen alles beherrschten… und es muß ja davor noch eine Zeit gegeben haben, in der sogar die Menschlichen nicht weiter als normale Leute waren… wie kann das alles in bloßen drei Millionen Jahren geschehen sein?«
»Na, vielleicht waren es ja auch vier«, antwortete Salaman. Es ergötzte ihn köstlich, wenn man ihn so neckte… allerdings nur, wenn Biterulve es tat. »Na, vielleicht auch fünf. Die Welt erneuert sich unablässig, mein Junge. Zuerst ist sie jung, dann wird sie allmählich alt und dann wieder jung. Und wenn sie dann das nächstemal wieder altgeworden ist, blicken die Leute zurück und nennen die frühe Zeit, an die kaum noch Erinnerung besteht, die aber direkt vor ihrer eigenen Zeit kam, die Zeit, in der die Welt jung war, ohne daran zu denken, daß es vorher die alte Zeit war. Kannst du mir folgen, Sohn?«
»Ich glaub schon.« Die Stimme klang immer noch spöttisch. Salaman versetzte Biterulve wieder einen zärtlichen Knuff.
Sie gingen in südlicher Richtung weiter zu dem Kuppelpavillon aus schimmerndem glatten Graustein, der sich über dem südlichsten der achtzehn inneren Treppenaufgänge auf der Mauer erhob. Der Himmel wurde langsam immer heller.
Dieser Pavillon stand ausschließlich Salaman zu seiner persönlichen Nutzung zur Verfügung. Er hielt sich dort oft lange auf. Stundenlang zuweilen, während seiner morgendlichen Meditationen, aber auch zu anderen Zeiten.
Hier – und nur hier – wich die Mauerkonstruktion von der alten Kraterbegrenzung ab. Hier stieß die Bastion ein Stück südwärts vor und zog sich über eine Erderhebung
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