Der Neue im Sportinternat
nicht glauben, was er da hört. Er schaut nach vorn, betrachtet Falko feindselig und bemerkt nebenbei: »Das selbstverliebte Grinsen wird der gegelten Narbenfresse schon noch vergehen! Wir müssen uns was einfallen lassen und dem Widerling kräftig ans Bein pinkeln. Für wen hält der sich?! King ofthe Castle is' der garantiert nicht, auch wenn er sich so aufführt! Man sollte dem in den Arsch treten! Irgendwie erinnert er mich an meinen Bruder.«
»Du bist den ersten Tag hier und planst schon einen Aufstand?«
»Wieso nicht? Was kann mir schon großartig passieren? Im schlimmsten Fall schmeißen die mich raus, was n guter Grund wäre für 'ne Party! Nur noch mal für dich zum Mitschreiben: Ich bin nicht freiwillig hier, klar! Irgendwann trifft jeder seinen Meister, das gilt auch für den Haargel-Fetischisten. Is' alles 'ne Frage der Zeit!«
»Das kann nicht gut gehen! Im Internat gelten andere Gesetze als draußen. Gegen Falko kannst du dich nicht durchsetzen, unmöglich! Außerdem ist sein Vater ein erfolgreicher Anwalt mit jeder Menge Einfluss. Ist dir nicht aufgefallen, dass sogar die meisten Lehrer hier über Falkos Benehmen hinwegsehen?«
»Bis auf Denniger!«
»Denniger ist ohnehin ein komischer Kautz. Ich glaube, dass er nicht bestechlich oder käuflich ist!«
»Bestechlich? Wo bin ich hier gelandet?«
»Du wirst dich noch wundern!«
»Geht's vielleicht 'n bisschen genauer?«
»Erwarte kein Fairplay! Die reden zwar immer davon, aber das machen die nur deswegen, weil sie es müssen«, deutet Chocco interne Unkorrektheit im Internat an, offensichtlich ohne dabei ins Detail gehen zu wollen.
Leon vermutet, dass Choccos Zurückhaltung auf Vorsicht und möglicherweise ebenso auf unvollständigem Wissen basiert. Er ist sich auch nicht wirklich sicher, ob Choccos Andeutung mehr als subjektives Wahrnehmen oder aus einem Gefühl der Ungerechtigkeit zu werten ist. Allerdings hat Leon nicht den Eindruck, dass Chocco zu Übertreibungen neigt. Aber das wird er schon noch rausfinden.
Leon und Chocco sind an der Reihe und erhalten ihr Mittagsessen. Es gibt Hähnchenbrust, Kartoffeln, gemischten Salat und als Dessert Vanillepudding. Chocco steuert gezielt einen Tisch in einer hinteren Ecke im Speisesaal an. Leon läuft hinterher und lässt den Blick schweifen. Ein auffallend gut aussehender Junge sticht aus der Menge regelrecht hervor. Er ist mit seinen Tischnachbarn in ein Gespräch vertieft und hat ein Lächeln, das einem strahlenden Stern am Mitternachtshimmel gleicht. Sein kastanienbraunes Haar ist leicht gelockt. Er trägt ein eng anliegendes T-Shirt und Jeans. Seinen Hals schmückt eine kurze Kette mit hellen Holzperleri. Jeder, der an seinem Tisch vorbeikommt, bleibt kurz stehen und wechselt einige Worte mit ihm. Er hat was von einem kalifornischen Beachboy mit Zahnpastalächeln, der nichts ohne sein Surfboard macht und auf den wildesten Wellen des Pazifiks reitet mit der puren Lust am Leben.
Als Leon mit Chocco am Tisch sitzt, deutet er auf den Sunnyboy und fragt: »Wer ist das?«
»Sandro«, haucht Chocco. »Sieht er nicht gut aus?«
»Pharaonisch!«
»Er ist ein richtiger Junge! Jeder mag ihn!« Angewidert schiebt Chocco mit der Gabel die Hähnchenbrust zum Tellerrand. »Ich hasse Fleisch! Weißt du eigentlich, wie abscheulich die wirtschaftliche Nutztierzucht ist? Ich sag dir, da vergeht dir alles! Aber das kümmert ja die wenigsten.« Chocco bemerkt, dass Leon geistig abwesend ist und den Blick nicht von Sandro nehmen kann. »Hey!«, zischt er und zieht an Leons Ärmel. »Auf einer Skala von 1 bis 10, welche Punktzahl würdest du ihm geben?«
»10!« Leon muss nicht lange überlegen. »Sandro sieht toll aus, ein richtiger Schmacko!«
»Ja, ein Schmacko«, stimmt Chocco zu und klingt traurig.
»Was hast du? Du hörst dich ziemlich gequält an.«
»Ich wär auch so gern wie Sandro«, gesteht Chocco. »Er ist beliebt und sieht wie ein richtiger Junge aus.«
»Richtiger Junge«, wiederholt Leon und isst sein Hähnchenfleisch. »Sag mal, hast du n Komplex?«
»Hast du keine Augen?«, antwortet Chocco mit einer Gegenfrage.
»Was meinst du?«
»Ich ... bin kein richtiger Junge. Mir fehlt was! Sandro fehlt nichts. Er ist perfekt. Ich bin wie jemand, bei dem was vergessen wurde, verstehst du?«
»Blödsinn! Manche Männer sehen halt wie Kerle aus. Na und!«
»Das sagst du doch nur so.«
»Sag ich nicht!«
»Findest du wirklich?«
»Ja!«
Chocco lächelt. Allerdings ist sein Lächeln nicht von
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