Der neunte Buddha - Thriller
Vater musste dem Jungen gesagt haben, wer er war.
»Nehmen wir ihn nicht mit?«
Christopher schüttelte den Kopf.
»Es tut mir leid«, sagte er, »dein Großvater ist tot. Diesmal wirklich tot.«
»Woher weißt du das?«
»Tsarong Rinpoche hat es uns gesagt. Kurz bevor wir in den Raum gebracht wurden, wo du und Samdup bei Samjatin saßt. Er sagte, er hätte ihn selbst getötet.«
William blieb stehen, worauf sein Vater das Gleiche tun musste.
»Das kann nicht sein«, sagte der Junge.
»Wieso?«
»Weil ich bei Großvater war, bis du kamst.«
»Wie lange vorher?« Christopher fühlte, wie Kälte sein Herz ergriff.
»Nur wenige Minuten. Dann erschienen Männer und sagten, ich müsste ihn jetzt verlassen. Großvater sagte, man werde ihn in seinen Räumen einschließen. Von dem Rinpoche war weit und breit nichts zu sehen.«
»Bist du sicher, William? Vielleicht haben sie ihn umgebracht, nachdem du weg warst?«
»Nein, denn wir sind auch auf dem Weg in das Gemach der Frauen noch an seinem Raum vorbeigekommen. Ich habe an die Tür geklopft und nach ihm gerufen. Er hat mir geantwortet. Er hat mir eine gute Nacht gewünscht.«
40
Christopher rief Chindamani zu, sie möge stehenbleiben. Mit William lief er zu ihr und teilte ihr mit, was sein Sohn ihm gerade gesagt hatte.
»Samjatin hat nichts davon erwähnt, dass der Abt tot sei«, sagte er, »nur dass man ihn abgesetzt habe. Tsarong Rinpoche hat uns angelogen. Er wollte uns glauben machen, dass mein Vater tot ist, denn der alte Mann war immer noch eine Bedrohung für ihn. Aber offenbar hat auch er es nicht fertig gebracht, eine Inkarnation zu ermorden.«
Wieder fielen Christopher die Worte ein, die der Rinpoche zu ihm gesprochen hatte: Sie sind heilig für mich, ich darf Sie nicht antasten. Er war dem Rinpoche heilig, weil er der Sohn einer Inkarnation war. Der brutale Tsarong Rinpoche trug einen tiefen Aberglauben in sich. Manche Verbrechen waren auch für ihn undenkbar.
Samjatin fühlte sich durch solche Dinge nicht gebunden. Er war durchaus in der Lage, Tsarong Rinpoches Behauptung in die Realität umzusetzen.
»Ich muss zurück«, sagte Christopher. »Wenn es auch nur eine Hoffnung ist, ich kann nicht von hier verschwinden, ohne wenigstens versucht zu haben, ihn zu retten. Er ist mein Vater. Was immer er getan hat, ich kann ihn nicht einfach im Stich lassen.«
Chindamani streckte die Hand nach ihm aus. Sie wollte ihn so gern festhalten, bis all das vorüber war.
»Lass mich mit dir gehen«, sagte sie.
Christopher schüttelte den Kopf.
»Das darf ich nicht«, sagte er. »Das weißt du. Wir haben so viel auf uns genommen, um diesem Ort zu entfliehen! Das kann nicht umsonst gewesen sein. Du musst hier bei William und Samdup bleiben. Wenn ich bis morgen Mittagnicht zurück bin, dann weißt du, dass ich nicht mehr komme. Nimm die Jungen und fliehe mit ihnen. Versuche den Weg nach Lhasa zu finden. Du bist eine Inkarnation und Samdup ebenfalls. Für euch wird es dort einen Platz geben. Übergib William einem Mann namens Bell. Das ist der britische Repräsentant in Tibet. Er wird dafür sorgen, dass der Junge sicher in seine Heimat zurückkehren kann.«
»Ich habe solche Angst um dich, Ka-ris To-feh!«
»Ich weiß. Ich auch um dich. Aber ich habe keine andere Wahl. Ich will mit meinem Vater zurückkommen. Wartet hier auf mich.«
Er wandte sich William zu und erklärte ihm, so gut er konnte, dass er zurückgehen und seinen Vater holen musste.
»Chindamani kümmert sich um dich, bis ich wieder da bin«, sagte er. »Tue, was sie dir sagt, auch wenn du kein Wort verstehst.«
William nickte. Er wollte nicht, dass sein Vater ihn schon wieder verließ, aber er begriff, was in ihm vorging.
»Was macht dein Nacken? Hast du Schmerzen?«
William schüttelte den Kopf.
»Es juckt ein bisschen, das ist alles.«
Christopher lächelte, küsste seinen Jungen auf die Wange und machte sich an den Aufstieg zum Kloster. Chindamani schaute ihm nach. Als er in der Dunkelheit verschwand, sah sie, dass die Sterne sich hinter Wolken verbargen. Sie spürte, dass die Welt sie verließ und sich immer weiter von ihr entfernte wie eine Wolke, die der Sturm zerfetzt.
Er brauchte eine Stunde, um unten am Hauptgebäude anzukommen. Die Leiter war an Ort und Stelle. Er schaute hinauf, aber von diesem Platz konnte er Samjatins Fenster nicht sehen. Er setzte den Fuß auf die erste Sprosse und begann die Leiter zu erklimmen.
Die Tür wurde von zwei Männern bewacht. Sie öffneten ihm
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