Der neunte Buddha - Thriller
schliefen?
Als er zu dem kleinen Lager zurückkam, hatte Chindamani das Mädchen etwas beruhigt. Es war immer noch verstört, aber der Schrecken war stiller Trauer gewichen. Diesmal reagierte es nicht auf Christopher. Er setzte sich neben Chindamaninieder, während sie das Mädchen zu trösten versuchte.
Wenig später fiel die Kleine in tiefen Schlaf, offenbar zum ersten Mal seit Tagen. Sie entschieden, dass sie wohl besser nicht in dem Lager oder seiner Umgebung aufwachen sollte. Christopher hob sie vorsichtig auf Pip und legte sie flach auf die Gepäckstücke, die das Pony trug. Als Nomadenkind war sie sicher von Geburt an gewohnt, auf einem Pferd zu schlafen.
Bevor sie den Ort verließen, legten sie die übrigen Leichen für die Geier ins Freie. Chindamani sprach ein paar leise Gebete. Dann ritten sie weiter, bevor das Kind erwachen und sich seines Kummers erinnern konnte, der durch den Anblick der offenen Bestattung sicher noch verstärkt worden wäre.
Die Nacht verbrachten sie in einem weiten Tal jenseits des Passes. Das Mädchen wachte nur einmal kurz auf. Es aß ein wenig und schlief sofort wieder ein. Christopher und Chindamani hielten abwechselnd Wache. Es war eine kalte Nacht, und die Sterne begleiteten sie bis zum Morgengrauen.
Beim Frühstück am nächsten Tag berichtete ihnen die Kleine, was geschehen war. Sie hieß Chödrön und meinte, sie sei zehn Jahre alt. Die Opfer waren ihre ganze Familie – Vater, Mutter, Brüder, Schwestern, Großmutter und Großvater, zwei Onkel, zwei Tanten und sechs Cousins.
Mehrere Tage zuvor – nach Christophers Berechnung musste es etwa eine Woche gewesen sein – war ein Mongole in ihr Lager gekommen. Zwei Jungen hatten ihn begleitet – ein Tangute oder Tibeter und einer, der aussah wie Christopher. Sie trugen feine Kleider, die inzwischen sehr schmutzig waren, aber sie sahen unglücklich aus. Das Mädchen war mit seiner Mutter aus dem Zelt gelaufen, um sich die Fremden anzuschauen.
Der Mann hatte die Ponys tauschen wollen. Er bot seines und die der Jungen für frische an und war bereit, noch eine Summe draufzulegen. Ihr Onkel hatte abgelehnt, weil die Männer jetzt im Frühling alle ihre Pferde brauchten und er nicht zwei abgekämpfte Tiere dabeihaben wollte. Der Mann trat grob und anmaßend auf, und sie glaubte, ihr Onkel habe vor allem deswegen sein Ansinnen abgelehnt.
Ein Wort gab das andere, dann fiel ein Schuss. Sie wusste nicht, ob ihr Onkel oder der Mongole zuerst gefeuert hatte. Aber mit seiner Schnellfeuerpistole war der Fremde den Männern mit ihren Musketen weit überlegen.
Das Massaker, das dann folgte, konnte sie weder erklären noch sich deutlich daran erinnern. Christopher und Chindamani wollten es ihr allerdings auch ersparen, diesen Wahnsinn noch einmal zu erleben. Irgendwie war es ihrer Mutter gelungen, sie in der Truhe zu verstecken, hinter der sie sie dann gefunden hatten. Dort hatte sie der Mongole übersehen. In der Truhe war kein Platz für ihre Mutter oder sonst jemanden gewesen.
Christopher beschrieb ihr Samjatin, obwohl er bereits wusste, wie ihre Antwort ausfallen würde. Sie erschauderte und sagte, der Mann sei es gewesen, kein anderer. Christopher fragte auch nach den Jungen, worauf sie antwortete, die hätten blass und unglücklich ausgesehen, seien aber unverletzt gewesen.
Am nächsten Tag ritten sie weiter nach Osten in Richtung Sining-fu. In Tsagan-tokko, einem Dörfchen aus Lehmhütten, erkundigten sie sich nach Samjatin. Weder er noch die Jungen waren hier gesichtet worden. Kaum hatten sie das Dorf hinter sich gelassen, da hörten sie Hufschläge hinter sich. Ein mongolischer Reiter sprengte heran und hielt neben ihnen. Er war ein hochgewachsener Mann, in Pelze gehüllt, und hatte einen Hinterlader über der Schulter hängen.
»Ich habe gehört, ihr sucht nach einem Burjaten, der mit zwei Jungen unterwegs ist«, sagte er.
Christopher nickte.
»Die habe ich vor fünf Tagen gesehen«, sagte der Reiter. »Im Tsun-Ula, der Bergkette nördlich des Kukunor. Wir haben kurz miteinander gesprochen. Ich fragte den Mann, wohin sein Weg führe. ›Wir müssen in zehn Tagen in Gandschou sein‹, hat er mir gesagt. Als ich ihn fragte, aus welchem Grund, erklärte er, er müsse dort jemanden treffen. Das ist alles. Der tibetische Junge hat versucht, mich anzusprechen, aber der Mann hat ihm sofort das Wort verboten.«
»Ist es denn möglich«, fragte Christopher, »so schnell nach Gandschou zu kommen? Müssen sie nicht durch das
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