Der neunte Buddha - Thriller
schmutziger und überfüllter als die meisten, aber sie lag etwas abseits und wurde von Leuten besucht, die kein Interesse an anderen Gästen hatten. Sie beschwatzten die Wirtin, eine kleine,reservierte Frau von Mitte vierzig, ihnen ein eigenes Zimmer zu geben. Sie wollte erst nicht, aber die völlig erschöpfte und tieftraurige Chödrön rührte sie so sehr, dass sie sich ihr zuliebe erweichen ließ.
Dort zogen sie am frühen Abend ein. Die Wirtin gab ihnen etwas zu essen und einen Dreifuß, auf dem sie es zubereiten konnten – alles im Preis einbegriffen. Das Mädchen schlief nach dem Essen sofort ein. Chindamani und Christopher blieben noch auf, um miteinander zu reden. Sie hätten sich gerne geliebt, aber vor dem Kind genierten sie sich. Schließlich schliefen sie in enger Umarmung ein, nicht sicher, aber allein.
Mitten in der Nacht fuhr Christopher hoch, weil er ein leises Pochen an der Tür vernahm. Zuerst glaubte er, er habe sich geirrt, aber das Geräusch wiederholte sich, diesmal etwas lauter. Chindamani drehte sich um, wachte aber nicht auf.
Er stand auf und ging zur Tür. Der Holzfußboden war kalt für seine nackten Füße. Ein paar Schritte entfernt hüstelte jemand leicht. Dann verstummte er wieder. Es war stocksdunkel.
Christopher öffnete die Tür und spähte hinaus. Vor ihm stand ein Mann mit einer Laterne.
46
Der Schatten des Armes, der die Laterne hielt, lag auf dem Gesicht des Mannes.
»Ja?«, fragte Christopher verschlafen. »Was wollen Sie?« Er sprach Tibetisch und hoffte, dass der Mann ihn verstehen werde.
»Hello, Christopher«, sagte der Fremde. Er sprach Englisch,und seine Stimme war Christopher so vertraut, dass ihn ein kalter Schreck durchfuhr.
Als der Fremde seinen Arm bewegte, kam sein Gesicht ins Licht. Simon Winterpole hatte eine lange Reise hinter sich. Aber er war kein bisschen verändert.
Christopher trat auf den Gang hinaus und schloss die Tür hinter sich. Winterpole trug europäische Kleidung, wirkte elegant wie eh und je. Er erschien Christopher wie eine Vision aus einer Welt, die er für immer hinter sich gelassen zu haben glaubte.
»Starren Sie mich um Gottes willen nicht so an, Christopher. Ich bin doch kein Gespenst.«
»Tut mir leid«, sagte Christopher. »Ich habe … Sie sind der Letzte, den ich hier erwartet hätte. Wie um alles in der Welt kommen Sie hierher? Und wie haben Sie mich gefunden?«
»Du meine Güte, Sie glauben doch nicht etwa, Sie seien unsichtbar?« Das Licht schwankte, als Winterpole seinen Arm bewegte. Schatten huschten wie Krabben über sein Gesicht. »Sie sind vor einigen Wochen bei Lhasa gesichtet worden. Danach haben wir Sie ständig im Auge behalten. Sie haben keine Vorstellung, wozu wir in der Lage sind. Ich bin letzte Woche von Peking hierhergekommen, um sie zu empfangen, wenn Sie hier eintreffen. Ich wusste, dass Sie über Sining-fu reisen werden. Sie und ich haben einiges zu besprechen und zu erledigen.«
»Da irren Sie sich. Wir zwei haben überhaupt nichts zu besprechen. Nicht mehr. Ich habe genug von alledem. Ich arbeite nicht mehr für Sie. Für niemanden.«
»Machen Sie keine Schwierigkeiten, Christopher. Das haben wir doch alles längst geklärt. Als ich bei Ihnen in Hexham war. Haben Sie das etwa vergessen?«
»Nein«, erwiderte Christopher in scharfem Ton. »Ich habenichts vergessen. Ich habe Ihnen schon damals gesagt, dass ich nicht mehr Ihrem Dienst angehöre. Sie haben mir geholfen, meinen Sohn zu finden, und dafür bin ich Ihnen dankbar. Aber ich bin nur seinetwegen hier. Das ist alles. Ich möchte nicht, dass Sie sich in Dinge einmischen, die Sie nichts angehen. Halten Sie sich da raus, Winterpole. Es hat mit Ihnen nichts zu tun.«
Im Korridor setzte das Husten wieder ein.
»Ich fürchte, schon«, sagte Winterpole. »Hören Sie, hier können wir nicht reden. Unten ist ein Raum, den ich benutzen kann. Kommen Sie mit und hören Sie mir zu. Ich bin so weit gereist, um mit Ihnen zu sprechen. Tun Sie mir den Gefallen. Bitte.«
Es war sinnlos, sich zu widersetzen, wie es bereits in jener Nacht in Hexham sinnlos gewesen war. Der dunkle Strom, der damals nach Christopher gegriffen hatte, packte ihn jetzt wieder und suchte ihn in die Tiefen eines kalten, lichtlosen Ozeans zu ziehen.
Der Raum, in den Winterpole Christopher führte, hatte eine tiefhängende Decke und wurde von ein paar Talglichtern erhellt. An niedrigen Tischen saßen zwei Gruppen von je vier Männern und spielten um geringe Beträge Mahjong . Vor jedem
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