Der neunte Buddha - Thriller
Nanshan-Gebirge?«
»Das ist richtig«, sagte der Mongole. »Aber wenn ihnen nichts dazwischenkommt, können sie es schaffen. Alle Pässe sind jetzt offen. Ich habe ihm den besten Weg beschrieben.«
Er rutschte unruhig in seinem Sattel hin und her.
»Der tibetische Junge«, sagte er. »Er war blass und voller Furcht. Heute Nacht habe ich von ihm geträumt. Er kam lächelnd auf mich zu. Er trug das Gewand eines Buddhas. Und er hatte einen Lichtschein um sich herum.« Er dachte eine Weile nach. »Wer ist er?«, fragte er dann.
Chindamani antwortete mit leiser Stimme, aber mit einer Autorität, die Christopher noch nie an ihr beobachtet hatte.
»Er ist der Maidari Buddha«, sagte sie.
Der Reiter blickte sie durchdringend an, erwiderte aber nichts. So verging eine halbe Minute. Dann lächelte er breit, wendete sein Pferd und galoppierte zurück in Richtung Tsagan-tokko.
An einem langen Nachmittag im April ritten sie nach China hinein wie Rinderdiebe oder Späher, die eine feindlicheArmee ausgeschickt hatte – ungesehen, unerwartet und von niemandem behelligt. Hier gab es keine klare Grenze, wo man hätte sagen können: »Hier ist Tibet« und »dort ist China.« Es war ein allmählicher Übergang, zu erkennen an einem leicht veränderten Tonfall, an kaum erkennbaren Modulationen in Landschaft und Gesichtern. Die Nomadenwelt von Amdo schwand dahin, und allmählich trat man in eine neue Welt ein – die der Täler und hohen, befestigten Dörfer, der engen Schluchten und schnellen Wasserläufe, der vergoldeten Tempel, geschmückten Tore und schlanken hohen Pagoden, die sich über dicken Wällen aus gestampftem Lehm erhoben.
Die Menschen des Grenzlandes und der Salzseen des Tsaidam-Beckens – in Pelze gehüllt, schmutzig und von den ständigen Winden gegerbt – machten allmählich den Bewohnern der besiedelten Regionen innerhalb der Großen Mauer Platz – Händlern und Handwerkern, sesshaften Bauern und Kaufleuten, die sich hier nur kurz aufhielten und bald nach Peking oder Kanton zurückkehrten. Den größten Unterschied sah Christopher in den Augen. Die Nomaden und die Männer, die mit den langen Kamelkarawanen aus der mongolischen Steppe oder aus der Gegend von Urumchi kamen, blickten weit in die Ferne. Sie waren offene Horizonte gewohnt, die nicht von Stadtmauern verstellt waren, eine Welt, die von einem Tag zum anderen wechselte. Die Han-Chinesen von Gansu dagegen lebten zwischen engeren Horizonten, und Christopher konnte in ihren Augen die Mauern, Tore und mentalen Gitter sich spiegeln sehen, von denen sie umstellt waren.
Mandarine mit bleichen Gesichtern und müden Augen, viele noch mit der typischen Mandschu-Frisur – dem langen Zopf und der nackten Stirn –, ritten in Begleitung von muslimischen Soldaten des Hui-Volkes in Richtung Sining-fu und der Provinzhauptstadt Landschou an ihnen vorüber. Aberkeiner nahm Notiz von Christopher und dessen Begleitung. Dem flüchtigen Betrachter fiel er nicht auf. Er wirkte wie ein Nomade, der mit Frau und Kind eine weite Reise machte – aus Gründen, die einen chinesischen Beamten nicht interessieren konnten. Sein Gesicht starrte vor Schmutz, sein Haar war wirr und ungekämmt; Wind, Eis und Schnee hatten alle Züge eines Ausländers aus seinem Gesicht getilgt.
Sining-fu empfing sie mit Gleichmut. Drei Reisende mehr oder weniger bedeuteten nichts für die Stadt und ihre Bewohner. Auf der hohen Stadtmauer patrouillierten Soldaten, beobachteten die ländliche Gegend außerhalb und das Mosaik von Dächern innerhalb – ein Wirrwarr von roten Ziegeln und Drachenschmuck. Die drei Neuankömmlinge gingen in der Menge unter.
Sie zogen die Hauptstraße entlang bis ins Zentrum der Stadt. Links und rechts lagen die Yamen der Beamten, niedrige, farbig gestrichene Häuser, von steinernen Löwen und Drachen bewacht. Jedes trug ein Schild mit chinesischen Schriftzeichen, das seinen Zweck bekanntgab. Auf Schritt und Tritt wurden sie angerempelt – von Mongolen, die ihre langhaarigen Kamele führten, wenn sie von Stand zu Stand zogen und Yakhaar oder Pelze gegen Töpfe, Pfannen und Küchenmesser tauschten; von Maultieren mit Kohle aus Shansi in großen Brocken; von Wagen, in denen chinesische Mädchen in leuchtend roten Gewändern, mit stark gefettetem Haar und winzigen gebundenen und davon verkrüppelten Füßen saßen.
In einer Nebenstraße unweit eines der großen Handelshäuser fanden sie ein kleines Deng , ein Rasthaus, wo sie über Nacht bleiben konnten. Die Herberge war
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