Der neunte Buddha - Thriller
fuhr er fort. »In Bodh Gaya und der ganzen Umgebung gab es weit und breit keinen britischen Arzt. Ich war verzweifelt. Meinem Sohn ging es sehr schlecht, ich befürchtete, er könnte sterben. Aber einer der Pilger, die den heiligen Baum aufsuchten … Sie kennen doch den heiligen Baum dort, Mr. Dzasa?«
Norbhu nickte. Den gab es wirklich, er hatte ihn mit eigenen Augen gesehen. Buddha war erleuchtet worden, als er darunter saß.
»Sehen Sie«, fuhr Christopher fort und erwärmte sich zusehends für seine Geschichte. »Einer der Pilger hörte davon, dass William krank sei. Er suchte uns auf und gab uns den Hinweis, in der Nähe sei ein tibetischer Mönch, eine Art Heiler. Ich suchte den Mönch auf, er kam mit, schaute sich William an und sagte, er könne ihn behandeln. Er ging wieder fort, das war spät Abends. Ich erinnere mich genau, wie ich im Dunkeln an Williams Bett saß, der schreckliches Fieber hatte.«
Der Junge hatte tatsächlich einmal hohes Fieber gehabt und wäre beinahe daran gestorben … Das hatte allerdings nichts mit einem Mönch oder einem heiligen Baum zu tun, nur mit einem alten Arzt, der schließlich erschienen war.
»Ich glaubte wirklich, er müsste sterben, so schlecht ging es ihm. Der Mönch ging also fort und kam schon nach einer Stunde mit ein paar Kräutern zurück, die er, Gott weiß wo,beschafft hatte. Er machte daraus einen Aufguss, den er dem Jungen irgendwie einflößte. Der rettete William das Leben. Das Fieber ging noch in derselben Nacht zurück. Zwei Tage später war er wieder auf den Beinen. Ich wollte den Mönch aufsuchen, um ihm zu danken und ihm seine Hilfe zu vergelten. Doch er war verschwunden.
Mr. Frazer kannte die Geschichte. Als er hierher kam, erkundigte er sich, aber niemand hatte von dem Mönch gehört. Bis vor ein paar Wochen.«
Norbhu Dzasa blickte von seiner dampfenden Tasse auf. Seine schmalen Augen glitzerten.
»Mr. Frazer sagte mir, vor kurzem sei hier ein tibetischer Mönch gestorben. Ein Mann mit dem gleichen Namen wie mein Mönch. Und von ähnlichem Alter. Frazer sagte auch, er habe Kräuter bei sich gehabt. Er schrieb mir das, weil er dachte, es könnte mich interessieren. Ich musste ohnehin geschäftlich nach Kalimpong. Ich dachte, da könnte ich gleich ein paar Erkundigungen einziehen. Über diesen Mönch.«
»Aber wozu? Sie ihn nicht mehr treffen. Nicht danken. Er tot.«
»Schon, aber er könnte doch eine Familie, Verwandte haben. Eltern, Brüder oder Schwestern. Vielleicht brauchen die jetzt Hilfe, da er verstorben ist.«
»Welcher Name dieser Medizinmönch?«
»Tsewong«, antwortete Christopher. »Kommt er in Tibet oft vor?«
Norbhu zuckte die Schultern.
»Nicht oft. Nicht, nicht oft.«
»Aber der Mann, der hier gefunden wurde, hieß doch so? Der hier gestorben ist.«
Der Tsong-chi hob den Blick zu Christopher.
»Ja«, sagte er. »Derselbe Name. Aber vielleicht nicht derselbe Mann.«
»Wie war er gekleidet?«, fragte Christopher. »Vielleicht kann ich ihn daran erkennen.«
Norbhu Dzasa war klar, dass Wylam ihm Informationen entlocken und nicht etwa etwas bestätigt haben wollte, was er schon wusste. Das Ganze erinnerte ihn an theologische Debatten der Mönche in Ganden, denen er beigewohnt hatte – Wortgefechte, bei denen der geringste Fehler die Niederlage bedeutete. Was mochte wohl ein Fehler in diesem Fall bedeuten?, fragte er sich.
»Er war wie ein Mönch der Sakyapa-Sekte gekleidet. Ihr Mönch von dieser Sekte?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Christopher. »Wie sehen die denn aus?« Er war bereits dabei, das Thema einzugrenzen. Die meisten Mönche Tibets gehörten zur politisch dominierenden Gelugpa-Sekte. Sakyapa-Mönche und -Klöster gab es viel weniger.
Norbhu Dzasa beschrieb Christopher die Robe eines Sakyapa-Lamas: die niedrige runde Haube mit Ohrklappen, die rote Robe, den Reisemantel mit den weiten Ärmeln und dem auffallenden Gürtel.
»Ja«, sagte Christopher, »etwa so war er gekleidet.« Er wollte seinen Gegenstand noch weiter einkreisen.
»Haben Sie vielleicht etwas bei ihm gefunden«, fuhr er fort, »was darauf hindeutet, woher er kam? Vielleicht den Namen seines Klosters?«
Norbhu sah ganz genau, was der Engländer wollte. Warum spielte er dieses Spiel mit ihm? Hielt er ihn für dumm?
»Woher Ihr Freund gekommen?«, fragte er zurück.
Christopher zögerte.
»Das hat er mir nicht gesagt. Wissen Sie, woher der Tote kam?«
Der Tsong-chi lächelte.
»Nicht jeder Berg hat eigenen Gott«, erklärte er. »Nicht
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