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Der neunte Buddha - Thriller

Der neunte Buddha - Thriller

Titel: Der neunte Buddha - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zum Schneiden dick.
    Hinter dem Missionar tickte eine Uhr auf einem niedrigen Regal. Er schloss die Augen, als wollte er beten, aber seine Lippen blieben fest zusammengepresst.
9
    Kalimpong fiel von ihm ab wie ein Traum. Alle Städte Indiens mit ihren Türmen, Kuppeln und Säulen versanken, und es blieb nur ein dünner Schleier ockerfarbenen Staubesin der Luft. Mutterseelenallein folgte er einem ungepflasterten Weg, der zur Residenz des Tsong-chi, des tibetischen Handelsvertreters, führte. Nach Norden hin stießen weiße Berge in den Himmel wie Schlösser aus Schnee und Eis. Dicke Wolken, wie von Drachen ausgestoßen, zogen um die Gipfel.
    Als er auf die Berge schaute, befiel ihn ein Unbehagen, das er zum ersten Mal elf Jahre zuvor, kurz nach seiner Heirat, verspürt hatte. Er hatte Elizabeth nach Simla gebracht, wo sie den Sommer verbringen wollte. Einmal waren sie bis zu den Vorbergen des Himalajas gefahren. Am nächsten Tag blies ein eisiger Wind von Norden und rüttelte an den Bäumen im Garten des Hotels. Sie hatten miteinander auf der Terrasse gestanden, aus dicken Gläsern eisgekühlten Whisky getrunken und dem Spiel der Wolken über den Bergen zugesehen.
    »Spürst du es?«, hatte Elizabeth gefragt, und Christopher wusste instinktiv, was sie meinte. All die rohe Kraft, die riesige materielle Stärke ihrer Zivilisation ballte sich über den stillen Orten dieser Erde zusammen. Christopher empfand dies auch jetzt wie all die Jahre zuvor, aber mit noch größerer Macht. Wie ein Krake streckte sie ihre Arme bis in die entlegensten Winkel dieser Welt, schlug zu, presste und sog allem, was sie berührte, die letzte Kraft aus. Geschichtsträchtige Orte, Heiligtümer und unberührte Reiche – alles verwandelte sich in ein endloses Schlachtfeld, auf dem Panzer wie schwarze Käfer rollten und neue Männer in neuen Uniformen einen düsteren Tanz aufführten.
    Er fand die Residenz des Tsong-chi in einem kleinen Tal einen guten Kilometer von der Stadt entfernt. Es war ein kleines Haus im tibetischen Stil mit chinesischem Schmuckwerk auf dem Dach. Neben der Tür stand eine eindrucksvolle Gebetsmühle wie ein Wächter, der den Besucher daran erinnern sollte, dass jeder Tibeter Religion, nicht Handel in seinem Herzen trägt.
    Norbhu Dzasa, der Tsong-chi, war anwesend. Christopher hatte gehofft, ein Empfehlungsschreiben von Frazer zu erhalten, da dieser aber nicht in Kalimpong weilte, hatte er es selber verfasst. Es machte nicht viel her, doch das wollte er auch gar nicht. Hier in Kalimpong musste er die Rolle spielen, die er sich auferlegt hatte.
    Er übergab das Schreiben einem ernst dreinblickenden, kleinwüchsigen nepalesischen Diener und bat ihn, es seinem Herrn zu bringen. Der kleine Mann maß Christopher mit einem Blick, der wohl bedeutete, allein seine Erscheinung sei eine Unverschämtheit und sein Auftauchen ohne Termin grenze an eine schwere Beleidigung. Er nahm den Brief, räusperte sich laut und verschwand in einem dunklen Gang.
    Christopher glaubte in der Ferne ein Murmeln zu hören. Offenbar betete jemand in der Tiefe des Hauses. Die Stimme klang selbstvergessen und melancholisch. Es war eine einzige Mantra, die endlos wiederholt wurde. Dann hörte er Schritte, und der kleine Diener trat aus dem Dunkel hervor. Ohne ein Wort bedeutete er Christopher einzutreten und schloss die schwere hölzerne Tür hinter ihm.
    Der Raum, in den Christopher geführt wurde, war auf seine Weise ebenso nach Kalimpong verpflanzt worden wie John Carpenters Arbeitszimmer, wenn auch über eine wesentlich geringere Entfernung. Eine gänzlich andere Welt, in diese Welt versetzt: verpackt, eingehüllt und wie durch ein Wunder an diesen Ort gebracht. Andere Farben, andere Schatten und andere Düfte. Vorsichtig trat Christopher über die Schwelle wie einer, der sich aus einem Element in ein anderes begeben muss: ein Schwimmer, der nackt am Ufer eines riesigen Wassers steht, oder eine Motte, die eine Flamme umschwirrt, welche sie im nächsten Augenblick verschlingen wird.
    Drinnen empfing ihn ein verborgenes, raffiniert aufgebautes Paradies von Vogelflügeln und Drachenaugen, das aufrätselhafte und doch einfache Weise mit der Erde verschmolz, der es angehörte. Wie eine Biene, die nach blütenreicher Zeit in Honig versinkt, fühlte er, wie all die Süße schwer auf ihm lastete.
    Aus vielfarbigen Teppichen wuchsen lackierte Säulen einer reichgeschmückten Decke entgegen. Um den ganzen Raum herum liefen dicke Vorhänge aus rot und gelb

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