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Der neunte Buddha - Thriller

Der neunte Buddha - Thriller

Titel: Der neunte Buddha - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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das bestimmte auf Jahre hinaus die innere Struktur ihres Lebens.
    »Mr. Wylam ist kürzlich von den fernen Ufern Englands zu uns gekommen«, hub Carpenter in einem Ton an, als predige er von der Kanzel. »Er ist zu uns gekommen, um etwas über seinen Sohn herauszufinden, einem Kind, das im zarten Alter durch schlimme Umstände von ihm gerissen wurde. Wer von uns hat nicht schon im Dunkel der Nacht um einen liebenden Vater gebetet, der uns sucht und nach Hause holt? Wer von uns hat sich nicht nach einer Liebe wie die dieses Mannes gesehnt, der aus freien Stücken über den ganzen Erdball reist, um sein einziges Kind zu finden und es in den Schoß der Familie zurückzuführen?
    Das bringt mich zu den Worten unseres Herrn in der schönen Geschichte vom Vater und seinen Söhnen: ›Dafür ist mein Sohn gestorben und wiederauferstanden. Er war verloren und wurde wiedergefunden.‹ Vielleicht kann uns Mr. Wylams Reise als Gleichnis dienen. Denn hier ist ein Vater, der nach uns sucht, der uns zu sich holen will, zerknirscht und voller Reue. Und er reist über die ganze Erde, um zu uns zu kommen.«
    Carpenter machte eine Pause, um Luft zu holen. Er schien jetzt erst richtig in Schwung zu geraten. Die Mädchen schauten gleichgültig drein. Sie husteten nicht, zappelten nicht und scharrten auch nicht mit den Füßen, wie englische Kinder es getan hätten. Offenbar hatten sie längst gelernt, dass einer Predigt zu lauschen so selbstverständlich zu ihrem Leben gehörte wie Essen und Schlafen. Christopher musste an sich halten, um nicht zu gähnen.
    »Mr. Wylam, unsere Herzen sind bei Ihnen in der Stunde Ihrer Not, wie auch Ihr Herz in der Vergangenheit zweifellos bei den Witwen und Waisen dieses gottlosen, verlorenen Landes war. Dies sind Kinder der Götzenanbetung, Mr. Wylam, Kinder der Sünde. Ihre Mütter und Väter waren nichts anderes als heidnische Kannibalen, aber durch die Gnade unseres Herrn sind sie aus dem Dunkel ins Licht geholt worden. Ich bitte Sie also, mit uns dafür zu beten, dass unsere Seelen sich eines Tages vor unserem barmherzigen und liebenden Erlöser wiederbegegnen mögen. Lasset uns beten.«
    Wie Aufziehpuppen schlossen die Mädchen in den exakt ausgerichteten Reihen die Augen und senkten die Köpfe. Ihre Nacken und Augenlider schienen nur für diese Aufgabe gemacht zu sein.
    »Gnädiger Vater, der du die Sünden und Verfehlungen von uns elenden Sündern kennst, wir flehen dich an, richte dein Auge heute auf deinen Diener Christopher …«
    So begann dieser Abend.
    Die Mahlzeit bestand aus Kohl und knorpeligem Fleisch, das es lange aufgegeben hatte, nach etwas auszusehen oder zu schmecken. Moira Carpenter war weniger Gastgeberin an einer Tafel als eine Bestatterin, die die Trauerfeier für das arme Tier überwachte, das in Scheiben geschnitten und mitSoße bedeckt auf den Tellern lag. Sie spielte ihre Rolle bei der gestelzten Konversation mit gequälter Höflichkeit.
    »Mein Mann hat mir von Ihrem Kummer berichtet, Mr. Wylam«, sagte sie und legte ihm gekochten Kohl auf. »Ich habe den größten Teil des heutigen Tages im Gebet verbracht und dabei unseren Herrn angefleht, Ihnen den Sohn zurückzugeben. Und seiner armen Mutter zu Hause, die in großer Not sein muss.«
    »Meine Frau ist tot, Mrs. Carpenter. Sie ist vor etwas über einem Jahr verstorben.«
    »Das tut mir aber leid, wirklich sehr, sehr leid.« Sie klatschte eine Scheibe von etwas Grauweißem neben den Kohl. »Hat sie eine Krankheit dahingerafft?«
    »Die Schwindsucht, Mrs. Carpenter. Sie litt an Schwindsucht. Sie wurde nur einunddreißig Jahre alt.«
    Zum ersten Mal an diesem Abend belebte sich Moira Carpenter ein wenig. Krankheiten waren ihr Lieblingsthema – so wie Götzenanbetung das ihres Gatten.
    »Sie ist eine Geißel, Mr. Wylam, eine schreckliche Strafe. Wir sind gesegnet, in dieser Gegend zu leben, wo die Bergluft sie vertreibt. Aber wir haben hier natürlich andere Leiden zu ertragen. Sie machen sich keine Vorstellung, wovon diese armen Menschen hier geplagt werden. Das ist der Preis, den sie für ihre Verderbtheit zahlen müssen. Syphilis, Mr. Wylam, ist hier weit verbreitet … lassen Sie sich das Essen schmecken … und auch die Gonorrhoe fordert schreckliche Opfer.«
    Bald musste Christopher feststellen, dass die Gastgeberin die schlechteste Gesellschafterin beim Essen war, die man sich nur denken konnte – eine Hypochonderin, die von nichts anderem redete als von Krankheiten. Während sie in ihrem Essen stocherte, belegte

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