Der neunte Buddha - Thriller
Basar und einer einsamen Lampe absah, die in der Kirche St. Andrew’s brannte.
Er ging über den Basar zurück, der schwach erleuchtet war,wo es berauschend nach Kräutern und Gewürzen roch. An einem Stand verkaufte ein alter Mann dicken Dhal, ein nepalesisches Bohnengericht, in groben Tontöpfen. An einem anderen bot eine Frau in zerschlissenem Sari Pfeffer, Chilischoten und Kerne des wilden Granatapfels an. Auf kleinen Messingwaagen wurden die Schätze Indiens als Prise oder Handvoll abgewogen. Das alte Kaleidoskop der wechselnden Bilder fing Christopher wieder ein. Aber zum ersten Mal spürte er hinter der verwirrenden Fassade den kalten Atem einer drohenden Gefahr.
Das Missionskrankenhaus fand er in dem Teil der Stadt, der dem Waisenhaus gegenüberlag. Dazwischen erstreckte sich symbolisch der britische Friedhof. Martin Cormac, der Arzt, der den sterbenden Mönch in den Knox Homes behandelt hatte, war nicht anwesend.
Die Schwester, die Christopher empfing, konnte ihm nicht weiterhelfen. Sie sagte nur, Cormac sei zu einem dringenden Fall nach Peshok, einem Dorf zwischen Kalimpong und Darjeeling, gerufen worden. Mehr wisse sie nicht, behauptete sie.
Christopher hinterließ eine Notiz mit seinem Namen und der Adresse des Rasthauses, wo er abgestiegen war. Die Schwester fasste den Zettel mit den Fingerspitzen an, als fänden sich auf ihm Keime von allen Krankheiten des Subkontinents und den Plagen Ägyptens dazu. Sie ließ ihn in einen kleinen verwahrlosten Kasten im Vestibül des Krankenhauses fallen und verschwand mit einem Blick, der ihm sagte, fiebrige Stirnen abzutupfen, sei wichtiger.
Er ging zu seinem Rasthaus zurück, machte ein Nickerchen, stärkte sich mit einem weiteren Glas Chota peg, rasierte sich und suchte nach dem passenden Outfit für das Essen bei den Carpenters. Im Rasthaus war alles still, als er ging. Niemand nahm Notiz von ihm.
An der Tür der Knox Homes empfing Reverend Carpenter ihn persönlich. Er war jetzt etwas sorgfältiger gekleidet als zuvor, aber nicht im Abendanzug. Der Missionar führte ihn sofort in den Teil des Waisenhauses, wo die Mädchen wohnten. Sie waren hier in der Überzahl, denn Jungen galten als wirtschaftlich wertvolle Nachkommen, die sich als Erwachsene um ihre betagten Eltern kümmern konnten, Mädchen dagegen als Last, weil sie später weggeheiratet wurden. Weibliche Säuglinge legte man gern vor einer fremden Tür ab, aber dieses Glück hatten bei weitem nicht alle.
Der Saal der Mädchen war ein blitzsauber gescheuerter, spartanischer Ort, der eher wie eine Durchgangsstation wirkte als ein Zuhause. Wände, Fußböden und Mobiliar durchdrang der Geruch von Karbol, Kohle, Teerseife und Jod. Die muffige Luft schien von einem Gemisch weniger eindeutiger Herkunft erfüllt – dem dünnen Erbrochenen von Kindern, gekochtem Kohl und der feinen aber unverwechselbaren Ausdünstung, die man in allen Einrichtungen findet, wo heranwachsende Mädchen in großer Zahl leben. Dem sauren Menstruationsgeruch, der an allem haftet, mit dem er in Berührung kommt.
In einem dunkel getäfelten Raum, wo die Porträts von Schutzpatronen und fromme Sprüche in pechschwarzen Rahmen an den Wänden hingen, wurden Christopher die Kinder vorgestellt. Reihen schweigender, gleichgültiger Gesichter blickten zu ihm auf, als er, verwirrt und peinlich berührt, auf einem niedrigen Podium am Ende des Raumes vor ihnen stand. Da waren Mädchen jeden Alters, gekleidet in die gleiche triste Uniform mit dem gleichen abgestumpften Ausdruck von Verständnislosigkeit und hoffnungsloser Ergebenheit in den Gesichtern. Die meisten schienen Inderinnen zu sein, aber es waren auch Nepalesinnen, Tibeterinnen und Lepchas darunter. Mehrere Mischlinge fielen Christopherauf – Anglo-Inderinnen, dazu zwei Mädchen von europäischer Herkunft. Insgesamt waren es über einhundert.
Das Abstoßendste war nach Christophers Empfinden die Temperatur, die in dem Raum herrschte. Es war weder ungemütlich kalt noch gemütlich warm. Versottete Rohre brachten von einem irgendwo verborgenen uralten Boiler ein wenig Wärme herein, doch nicht so viel, dass man sich entspannt fühlen konnte, und nicht so wenig, dass man sich mit dicken Kleidern vor der Kälte schützen musste. Die Kinder wirkten weder gut noch schlecht ernährt. Er vermutete, dass sie nicht gerade hungrig zu Bett gehen mussten, aber niemals richtig satt wurden. Diese Waisen lebten in einem Schwebezustand, waren weder völlig verlassen noch wirklich geliebt, und
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