Der neunte Buddha - Thriller
ist.«
»Wenn Sie nichts wollen, was tun Sie dann hier?«, fragte Christopher. Der durchdringende Blick des Mönchs machte ihn nervös. Ebenso, mit ihm allein in einem Raum zu sein.
»Sie warnen«, sagte der Mönch leise.
»Mich warnen?«
Der Gecko an der Wand bewegte sich, um Schatten und Deckung zu finden.
»Sie haben Fragen gestellt. Ungehörige Fragen. Fragen, auf die es keine Antwort gibt, die Sie verstehen könnten. Sie sind heilig, ich darf Sie nicht antasten. Aber ein Mann ist bereits gestorben. Sein Blut klebt an meinen Händen. Verstehen Sie? Es wird in meinem nächsten Leben und auch in allen weiteren an meinen Händen bleiben. Für mich sind Sie heilig, aber andere könnten Ihnen Böses tun. Ich weiß, dass Sie das nicht verstehen. Das ist auch besser für Sie. Daher mein Rat: Kümmern Sie sich nicht länger um den Lama, der hier zu Tode gekommen ist. Schlagen Sie sich alle Gedanken anIhren Sohn aus dem Kopf. Denken Sie nicht an Rache. Fahren Sie nach Hause. Alle anderen Wege sind für Sie versperrt. Die Götter spielen jetzt nur. Verlassen Sie diesen Ort, bevor sie der Spiele überdrüssig werden.«
Was meinte er wohl mit »Sie sind heilig für mich«? Christopher fiel der dünne Mann in Hexham ein. »Ich habe Anweisung, Sie nicht zu verletzen«, hatte er gesagt.
»Wollen Sie mir sagen, Sie haben Martin Cormac getötet?« Christopher trat einen Schritt auf den Mönch zu. Der blieb bewegungslos.
»Sie verstehen nicht«, flüsterte der Mönch. Christopher glaubte das Geräusch der Fliegen in dem Raum zu hören. Er sah das Sonnenlicht auf dem zerwühlten Bett. Er rang nach Luft.
»Ich verstehe durchaus!«, rief er laut, um das Summen zu übertönen.
Der Mönch schüttelte den Kopf.
»Sie verstehen überhaupt nichts«, flüsterte er.
Christopher trat noch näher an den Mann heran, aber etwas hielt ihn davon ab, sich auf ihn zu stürzen.
»Bitte«, sagte der Mönch. »Versuchen Sie nicht, mich anzugreifen. Wenn Sie das tun, muss ich Sie daran hindern. Und ich möchte nicht auch das noch auf mein Gewissen laden. Mein Karma ist heute bereits mit Blut befleckt worden. Aber Sie sind heilig. Zwingen Sie mich nicht, Sie anzutasten.«
Unbeschreiblicher Zorn stieg in Christopher auf, doch die Ruhe, die der Mönch ausstrahlte, machte es ihm schwer, die Hand gegen ihn zu erheben. Der Mann stand auf, und sein Gewand umspielte elegant seine eindrucksvolle Gestalt.
»Ich habe Sie gewarnt«, sagte er. »Verlassen Sie Kalimpong. Kehren Sie nach England zurück. Wenn Sie Ihre Aktivitäten fortsetzen, kann ich keine Verantwortung mehr übernehmen.«
Als er an Christopher vorbei zur Tür ging, streifte er ihn mit einem Zipfel seines Gewandes.
Was dann geschah, wusste Christopher später nicht mehr. Er spürte die Berührung des Gewandes an seiner Hand. Sie erinnerte ihn daran, wie sich Cormacs Moskitonetz angefühlt hatte, und sein Zorn erwachte wieder. Die Gelassenheit des Mönchs war ihm egal, er wollte ihn packen, irgendwie Gerechtigkeit an ihm üben. Er griff nach ihm, um ihn herumzureißen und ihm wenigstens aus nächster Nähe ins Gesicht zu schauen. Ob er ihn schlagen wollte, wusste er nicht genau.
Er spürte nur noch die Hand des Mönchs in seinem Nacken, einen sanften Druck ohne Gewalt oder Schmerz. Dann verschwand die Welt vor seinen Augen, und er hatte das Gefühl zu fallen, ohne Ende in einen lichtlosen, farblosen Abgrund.
Er träumte von einer großen Stille, die an ihm klebte wie Wachs. Das Wachs schmolz, und er schritt durch lange Korridore. Auf jeder Seite leere, schweigende Klassenräume. Kalkstaub hing in der Luft wie zerstampfter weißer Pollen in langen Strahlen von Sonnenlicht. Er erklomm Treppen, die sich in der Unendlichkeit verloren. Dann war er plötzlich wieder in einem Korridor. Von fern hörte er ein Summen. Er ging durch eine Tür und stand in einem langen weißen Schlafraum, wo ebenfalls Schweigen herrschte. Über dem Mittelgang hatte man zwei Reihen rostiger Haken in die Decke geschraubt. Von jedem Haken hing ein Seil herab, und an seinem Ende der Körper eines jungen Mädchens. Alle trugen weiße Unterkleider, wandten ihm den Rücken zu und hatten langes schwarzes Haar, glatt wie Seide. Mit Entsetzen sah er, wie sich Seile und Körper drehten. Ein Summen erfüllte den Raum, aber er sah keine Fliegen. Plötzlichknallte eine Tür, und das Echo rollte durch das ganze Haus.
»Wachen Sie auf, Sahib! Wachen Sie auf!«
Er bemühte sich, die Augen zu öffnen, aber seine Lider waren
Weitere Kostenlose Bücher