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Der neunte Buddha - Thriller

Der neunte Buddha - Thriller

Titel: Der neunte Buddha - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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kommen, Tobchen?«, fragte er.
    Der alte Mann seufzte.
    »Das glaube ich nicht, Herr. Pema Chindamani muss in Dorje-la bleiben. Dort ist ihr Platz.«
    »Aber sie hat gesagt, wir werden uns wiedersehen.«
    »Wenn sie das gesagt hat, dann wird es auch geschehen.«
    »Aber nicht in Gharoling?«
    »Das weiß ich nicht, Herr.«
    Und der alte Mann schritt weiter in den Schneesturm hinein. Dabei murmelte er die Worte der Mantra om mani padme hum vor sich hin wie eine alte Frau, die den Pflug durch ihr Feld zieht. Das war er tatsächlich. Eine alte Frau, in ihren Pflug gespannt.
    Am siebenten Tag frühmorgens zwischen dem Aufbruch und der ersten Rast war der alte Mann dann endgültig verschwunden. Ohne jede Warnung. Tobchen schritt wie immer voraus in eine Wolkenbank und wies den Jungen an, ihm langsam zu folgen. Anfangs schien alles normal. Dann hob sich die Wolke, und der Weg vor ihm war leer. Zu seiner Linken ging es steil in einen tiefen Abgrund, dessen Ende von Nebel verhüllt war. Über eine Stunde lang rief er laut und flehend den Namen des alten Mannes, aber nur das Echo antwortete ihm. Ein Sonnenstrahl legte den Gipfel des hohen Berges vor ihm frei. Plötzlich fühlte sich Samdup schrecklich allein.
    Er war zehn Jahre alt. Tobchen hatte ihm erzählt, es seien in Wirklichkeit viele hundert Jahre, aber hier, in Schnee und Eis gefangen, fühlt er sich nur wie ein Kind. Er wusste, ohne den alten Mann war er verloren. Er hatte keine Ahnung, wohin er sich wenden sollte. Ob nach vorn oder zurück, für ihn war alles gleich. Die Berge schienen ihn zu verhöhnen. Selbst wenn er Jahrhunderte alt war, was bedeutete das schon? Älter als sie waren nur die Götter.
    Der Proviant in seiner Tasche reichte bei guter Einteilung noch für zwei Tage. Wenn er doch nur auf den Chörten oder einen Gebetsstock stieße! Wenn doch nur ein Tempelhorn in der Ferne erklänge! Aber er sah nichts als Eisnadeln ringsum und hörte den Wind pfeifen.
    Im Dunkel der Nacht weinte er, weil er fror und sich, so schrecklich allein, fürchtete. Er wünschte, er hätte Dorje-la Gompa nie verlassen, wäre dort bei Pema Chindamani und seinen anderen Freunden geblieben. Niemand hatte ihn je gefragt, ob er ein Trulku sein wollte. Vor sieben Jahren waren Männer im Hause seines Vaters erschienen, hatten ihn einigen Prüfungen unterzogen und ihm dann gesagt, wer er sei. Viel lieber wäre er bei seinen Eltern geblieben. Sicher gab es nichts Größeres als das Leben in seinem Labrang in Dorje-la, aber zu Hause hätte ihn niemand gezwungen, zu studieren oder, in Seidengewänder gehüllt, stundenlangen Zeremonien beizuwohnen.
    Als die Nacht vorüber war, fand er die Welt in Nebel gehüllt. Er blieb, wo er war, spürte, wie ihm die Feuchtigkeit in alle Glieder kroch, fürchtete aber, einen einzigen Schritt zu tun, um nicht auch in einen Abgrund zu stürzen. Er wusste, dass er sterben würde, und empfand darüber kindlichen Groll. Der Tod war ihm nicht fremd. Er hatte die Leichname der Äbte in ihren goldenen Chörten im obersten Geschoss des Klosters gesehen, wo niemand über ihnen stehen konnte. Als eine seiner ersten Amtshandlungen in Dorje-la hatte er die Trauerfeier für einen alten Mönch namens Lobsang Geshe leiten müssen. Und überall an den Wänden und Decken der Klostergemächer tanzten die Toten wie Kinder. Seit er drei Jahre alt war, waren sie seine Spielgefährten. Trotzdem hatte er Angst.
    Zeit war in diesem Nebel ohne Bedeutung. Er hatte keine Vorstellung, welche Tageszeit es war, als er zum ersten Maldie Schritte hörte. Er lauschte, wie zu Stein erstarrt. An den Bergpässen gab es Dämonen. Dämonen und Ro-lang, Untote, die der Blitz getroffen hatte. Mit geschlossenen Augen streiften sie durch die Berge, unfähig zu sterben und wiedergeboren zu werden. Während der langen Nächte im Labrang hatte Pema Chindamani ihm Geistergeschichten erzählt, und er hatte ihr beim Kerzenlicht mit großen Augen gelauscht. Aber hier, allein im Nebel, ließ die Erinnerung an ihre Geschichten ihm das Blut gefrieren.
    Eine große Schattengestalt in Schwarz tauchte auf. Der Junge presste sich gegen den Felsen und flehte um Hilfe zu Gott Chenrezi oder Göttin Tara. Er murmelte die Mantren, die er von Tobchen kannte. Om Ara Pa Tsa Na Dhi, zitierte er die Manjushri-Mantra, die er erst kürzlich gelernt hatte.
    »Rinpoche, sind Sie das?«, ertönte da eine dumpfe Stimme. Der Junge kniff die Augen fest zusammen und betete die Mantra immer schneller.
    »Dorje Samdup Rinpoche?

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