Der neunte Ton: Gedanken eines Getriebenen (German Edition)
beruhigend sein. Es ist immer wieder faszinierend, festzustellen, wie Kinder reagieren, wenn sie erstmals den Fuß ins Mittelmeer stecken. Im Laufe der letzten Jahre haben uns vor allem Kindergruppen besucht, die noch nie das Meer spüren konnten. Kinder, die in jungen Jahren Schreckliches erlebt haben und die ihre geschundenen Seelen plötzlich im warmen Wasser des Mittelmeers wiederfinden.
Bild 14.: Respekt im Umgang mit der Natur: Schafe auf dem Bio-Hof Ca’n Sureda
Wir setzen bewusst auf die Natur. Entsprechend ist es mir wichtig, unser kleines Fleckchen Land, das wir seit Anfang der 90er-Jahre bewirtschaften, nach ökologischen Spielregeln zu betreiben. Einige Bäume auf der Finca sind annähernd 1.000 Jahre alt. Wenn sie reden könnten, würden sie Geschichten erzählen von stolzen Mallorquinern, von maurischen Besatzern, aber auch von geldgeilen Immobilienhaien, die seit Anfang der 80er-Jahre versuchen, Mallorca zu verschachern. Menschen, die mit dem Helikopter über die Insel fliegen und in ihrem Größenwahn versuchen, sich gegenseitig mit hochpreisigen Immobilien zu überbieten. Ich bin dankbar, dass es uns gelungen ist, dieses kleine Stück Natur um die Finca herum zu erhalten. Immer wieder erlebe ich, wie Kinder darauf reagieren. Kinder, die sonst ausschließlich in der Großstadt leben und von denen einige glauben, dass die Milch aus Tüten kommt. Wir versuchen sie eines Besseren zu belehren, indem sie – sofern sie es möchten – helfen dürfen, die Ziegen auf der Finca zu melken. Sie begreifen schnell, dass dies nur funktioniert, wenn sie sich den Tieren ruhig und respektvoll nähern. Vertrauen muss aufgebaut werden, und unser Anliegen ist es, Kindern Respekt vor Tieren beizubringen. Für viele Kinder ist es ein großes Erfolgserlebnis, wenn die ersten Tropfen Milch im Eimer landen. Doch das ist erst der Anfang, der Prozess geht weiter: Die Milch wird in der Käserei eingesetzt und schließlich können sie die selbst gemolkene Milch als Käse essen. Den Kindern wird der Kreislauf der Natur verdeutlicht – ein Aspekt, der uns sehr am Herzen liegt. Hier folgen wir im Weitesten dem Leitspruch des Apostels Paulus: »Wir säen, um zu ernten.« Oder anders: »Wir ernten, was wir säen.« Nach diesem Leitspruch handeln wir auch, wenn wir das Brot vor Ort selbst backen – oft unter Mithilfe unserer kleinen Besucher – und Gemüse anbauen. Dabei legen wir Wert darauf, dass all diese Lebensmittel unbehandelt angeboten werden.
Ich erinnere mich an den Besuch einer Kindergruppe aus der Ukraine vor einigen Jahren. Für sie war es das erste Mal, dass sie unkontaminiertes Essen zu sich nahmen. Diese Kinder, die im Dunstkreis des Tschernobyl-Reaktors groß geworden sind, Angehörige verloren haben und deren Alltag noch immer von einer hohen Krebsbelastung geprägt ist, wollten zunächst nicht glauben, dass sie die Mohrrübe, die sie aus der Erde gezogen haben, einfach so essen können. Natur zum Anfassen.
Auch das zeigt uns die Natur immer wieder: dass wir gut daran tun, demütig zu sein. Die Gewalt der Natur ist unbeschreiblich. Wir alle haben noch die Bilder der Jahrhundertflut in New Orleans vor Augen, die Hurrikans, die über die USA hinwegfegen, Erdbeben, die ganze Landstriche vernichten. Verwüstungen dieser Art sind aber auch die Folgen unseres Raubbaus an der Natur. Über viele Jahre haben wir das ökologische Gleichgewicht ins Wanken gebracht. Ganze Landstriche haben heute keinen einzigen Baum mehr, stattdessen reiht sich ein Häuserblock an den nächsten. Spaniens Festland ist voll davon.
Bild 15.: Der Bio-Laden des Hofs. Eine Behindertenwerkstatt steuert
Marmeladen aus den Früchten des Bio-Hofs bei
Ich hatte mehrfach die Gelegenheit, mich mit Franz Alt auszutauschen. Der Umweltexperte und Friedensaktivist beeindruckt mich immer wieder mit seinem umfassenden Wissen. Er hat recht, wenn er sagt, dass wir einen Dritten Weltkrieg führen, und zwar gegen die Natur. Eine ethische Ökologie ist gefordert. Ich bin der festen Überzeugung, dass kommende Kriege nicht mehr um Öl, sondern um Wasser geführt werden. Desmond Tutu hat recht, wenn er eine gerechtere Verteilung der Ressourcen fordert, und auch Shimon Peres hat mir schon bei unserem ersten Kennenlernen im Jahre 2006 von der Wasserknappheit im Nahen Osten berichtet. Auch dies ist ein Problem, das vor Religion, Hautfarbe und politischer Orientierung keinen Halt macht. Die Wasserknappheit wird Jordanier genauso treffen wie Israelis und
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