Der neunte Ton: Gedanken eines Getriebenen (German Edition)
zurück. Wirklich Angst hatte ich also vor dieser Reise nicht. Und überhaupt: Ich habe das rumänische Fluchen noch nicht verlernt. Aber in uns brannte auch die Neugier. Es war so ein bisschen ein ausgestreckter Mittelfinger mit im Spiel: Hier sind wir wieder!
Das Land hat gar nichts falsch gemacht. Es ist wunderschön! Das Menschen im Land haben versucht, gut zu sein und sich zu entwickeln. Die, die das Land führten, haben die Fehler gemacht. Über eine viel zu lange Zeit hatten einige das Sagen, die vor nichts Respekt hatten. Wie anders kann man die ganzen Schweinereien, die geschehen sind, verstehen?
Ceaucescu hatte unrecht, und er hat gebüßt. Ich habe seine Hinrichtung am Fernseher verfolgt. Man sollte niemandem den Tod wünschen. Zu dieser Haltung bin ich erzogen von Eltern, die Folter erlebt haben. Und doch: Allein die Vorstellung, dass ein Ungeheuer wie zum Beispiel Adolf Hitler heute noch leben würde, wäre mir unerträglich. Hitler nahm keine Rücksicht auf Menschen. Seine Gräueltaten lassen sich nicht rechtfertigen und ebenso wenig die des Ceaucescu-Regimes bzw. der vorangegangenen Diktaturen.
Natürlich wäre es wichtig gewesen, Ceaucescu, seine Frau und die gesamte Regierung vor ein Tribunal zu stellen. So wie das nun in Den Haag mit Charles Taylor oder den jugoslawischen Verbrechern geschah. Es ist befriedigend und sicher hat es eine Signalwirkung, wenn klargestellt wird, dass Verbrechen solcher Art nicht verjähren und dass es Instanzen gibt, die sie ahnden. In der aufgeheizten Situation damals in Rumänien war die Hinrichtung von Ceaucescu eine Reaktion, mit der Druck abgebaut werden sollte. Das Volk war so aufgebracht und der schnelle Tod des Diktators hat in der Folge vielleicht schwerwiegendere Auseinandersetzungen verhindert. Ein schneller Neuanfang war möglich, und weitere Eskalationen wurden vermieden. Seine Hinrichtung hat den Weg frei gemacht für eine Veränderung.
Plötzlich standen mein Vater und ich also in Kronstadt. Es war ein merkwürdiges Gefühl, wieder in der alten Heimat zu sein, die Sprache zu hören, die Umgebung wahrzunehmen und an das anzuknüpfen, was knapp 40 Jahre zuvor jäh unterbrochen wurde. Aber es war gleichzeitig ein gutes Gefühl. Und auch meinem Vater muss es gutgetan haben, anders kann ich mir nicht erklären, dass er im Sommer 2011 bei der Einweihung unseres Kinderprojektes in Radeln plötzlich spontan auf die Bühne wollte. Es hatten sich rund 400 geladene Gäste eingefunden. Hochrangige Repräsentanten, darunter der rumänische Außenminister und die Entwicklungshilfeministerin, aber auch der deutsche Staatsminister für Kultur und Medien, Bernd Neumann. Das ganze Dorf war auf den Beinen, Kinder tanzten, die Alten sangen, und allein aus Deutschland waren 30 Journalisten mit uns nach Radeln gereist. Und mein Vater wollte auf die Bühne. Nach den Reden der Minister schnappte er sich das Mikrofon und sagte: »Ich bin wieder angekommen.« Er hatte Frieden geschlossen mit seiner Heimat. Er war bereit, Rumänien wieder als Teil seiner eigenen Biografie zu akzeptieren. So, wie ich es auch war.
Im Nachhinein war vielleicht der wichtigste Aspekt dieser ersten Rumänien-Reise, dass damals in mir der Entschluss gereift ist, mich zu engagieren und aktiv etwas zu tun. Für mich war es schon immer wichtiger gewesen, nach vorn zu schauen als zurück. Rumänien hat eine so wunderschöne Landschaft und so liebenswerte, herzliche Menschen. Das ist doch das Entscheidende! Diese Menschen sind nicht gleichzusetzen mit dem Regime, schon gar nicht mit dem, das ich damals erlebt habe. Ich habe die meisten von ihnen als offen, gastfreundlich und großzügig erlebt, trotz ihrer Armut – oder vielleicht gerade deshalb. Bis heute scheint die Zivilisation (jedenfalls das, was wir hier in unserer westlichen Lebensweise darunter verstehen) einen Bogen um weite Teile der ru mänischen Landbevölkerung zu machen. Oft gibt es noch immer kein fließendes Wasser, kein funktionierendes Abwassersystem, keine Müllabfuhr. Die medizinische Versorgung ist mehr als unzulänglich. Wunderschönen alten Häusern droht der Verfall, weil ihren Bewohnern das Geld fehlt, notwendige Reparaturen vorzunehmen. Es war schwer für mich, das alles mit anzusehen.
Bild 18.: Wilhelm Makkay zum ersten Mal wieder in Rumänien
Gleich nach meiner Rückkehr haben wir also damit begonnen, uns nach einem geeigneten Objekt für unsere Stiftung umzusehen: Nach dem Vorbild der Finca auf Mallorca sollte auch in
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