Der neunte Ton: Gedanken eines Getriebenen (German Edition)
Palästinenser – oder eben auch uns.
Einen Teil des Jahres lebe ich auf Mallorca und bekomme hier das gigantische Flüchtlingsproblem mit, dem sich Europa stellen muss. Dieses Problem lässt sich nicht länger totschweigen. Viel zu oft erreichen uns Nachrichten über Menschen, die sich unter unmenschlichen Bedingungen mit kleinen Nussschalen übers Meer auf den Weg zu uns machen. Getrieben von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, ausgebeutet von Schlepperbanden. Oft werden sie vom Militär aufgegriffen und zurückgeschickt, aber viel zu selten hinterfragen wir die wahren Gründe für ihre Flucht. Sie flüchten vor sozialer Ungerechtigkeit, vor allem aber, weil ihnen der Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen verweigert wird. Sie machen sich auf den Weg, weil die Natur nicht vor Städten Halt macht, sondern die Ver-Wüstung zunimmt. Die Grenzen der Natur verschieben sich. Hier muss die Politik handeln und eine Lösung finden. Während ich an diesem Manuskript arbeite, ist in Doha wieder einmal eine Welt-Klimakonferenz zu Ende gegangen. Eine von diesen sogenannten Laber-Runden, bei denen Tausende von Delegierten um die Erde fliegen und über eine Welt von morgen diskutieren. Leider bleiben solche Konferenzen häufig ohne konkrete Ergebnisse. Leider wird Zeit verplempert, ohne dass man ernsthaft an Lösungen interessiert ist. Wirtschaftliche Interessen, vor allem der Global Players, sind wichtiger als Fragen von Wasserschutzgebieten und ökologischem Gleichgewicht. Ein Umdenken ist vonnöten, aber momentan ist ganz Europa noch mit der Euro-Krise beschäftigt. Der frühere Präsident des Europäischen Parlaments Jerzy Buzek hat einmal sehr treffend beschrieben, welche Konsequenzen wir aus einer Krise ziehen müssen: »Vergessen wir nicht die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ›Krise‹: eine entscheidende Situation, ein Wendepunkt. Europa hat sich von Krise zu Krise entwickelt und ist immer stärker und klüger geworden.« Aber wie viele ökologische Krisen müssen wir noch überstehen, um endlich zu begreifen, dass die Uhr läuft, dass wir keine Zeit verlieren sollten, um uns auch diesem Problem zu stellen? Und vor allem: Wie viele Krisen können wir uns noch leisten?
Wir müssen Kindern wieder den Wert der Natur bewusst machen. Ich erinnere mich gut an den Besuch einer Gruppe von Jugendlichen aus Berlin auf unserer Finca auf Mallorca. Junge Mädchen im Teenageralter, 14, 15 Jahre alt, trendy gekleidet mit lackierten Fingernägeln: Es war das erste Mal, dass sie mit ihren Händen im Boden wühlten, um eine Möhre zu ziehen. Ein völlig neues Gefühl – man macht sich die Hände schmutzig. Im ersten Augenblick irritierend, dann aber wurde ihnen bewusst, dass die Natur die Grundlage unserer Existenz bildet. Als wir nach zwei Wochen mit der Gruppe zusammensaßen – es war der letzte Abend –, um ein Fazit ihres Aufenthalts auf Mallorca zu ziehen, waren es eben jene jungen Damen, die dieses Möhren-aus-dem-Boden-Ziehen für den wertvollsten Teil ihrer Reise hielten: »So etwas haben wir in Berlin noch nie machen können.« Sie waren dankbar. Uns ist die Natur abhandengekommen. In einer Zeit der Schnelllebigkeit und Anonymisierung, in einer Zeit der Computerspiele und von Simsen ist Natur scheinbar nicht mehr zeitgemäß. Aber gerade die Natur sollte zeitlos in unserem Denken verankert sein.
Ich bin vor einigen Jahren einer Umweltinitiative auf Mallorca beigetreten, die sich GOB nennt. Es sind Aktivisten, die die letzten Fleckchen unberührte Natur auf Mallorca bewahren möchten. Gott sei Dank hat diese Initiative erste Erfolge vorzuweisen und Gott sei Dank – und in diesem Fall kam die Krise im richtigen Augenblick – wurden einzelne Hotelprojekte gestoppt. Man war dabei gewesen, auch den letzten Winkel der Insel mit Autobahnen zuzupflastern. Neue Hotels sprießen teilweise in geschmackloser Architektur wie Pilze aus dem Boden. Aber brauchen wir dies alles?
Ich habe einige Zeit im Rahmen der Begegnungen-Projekte bei den Aborigines in Australien verbringen dürfen. Ebenso in South Dakota bei den Lakota Indianern. Zwei Volksstämme, bei denen die Natur noch einen hohen Stellenwert genießt. Sie gewinnen Medizin aus der Natur und geben den Respekt vor ihr an die nach folgenden Generationen weiter. Kein Baum, der einmal gefällt wurde, wächst so schnell wieder nach. Die Erde erodiert, was bleibt, sind Steine. Und Steine kann man nicht essen. In unseren Kulturkreisen wird man für ein solches Denken oftmals
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