Der neunte Ton: Gedanken eines Getriebenen (German Edition)
ausgelacht. Allerdings sind es die Dummen, die sich diesen »Luxus« erlauben.
Manchmal kommt mir das Lied »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit« in den Sinn. Nicht ganz ernst gemeint, denn das alte Arbeiterlied hat eigentlich einen anderen Bezug. Aber das Bild ist ungemein stark, es steckt so viel Aufbruchsstimmung darin. Warum, frage ich mich dann, nutzen wir viel zu selten die Kraft der Sonne? Warum sehe ich so wenige Sonnenkollektoren auf den Dächern meiner mallorquinischen Wahlheimat? Gerade hier, wo das ganze Jahr über die Sonne intensiv scheint, wäre es ein Leichtes, ihre Energie zu nutzen. Diese Idee liegt doch auf der Hand. Sowohl auf unserer Finca Ca’n Sureda als auch auf allen Gebäuden in Tutzing – Bürohaus und Studio – haben wir schon vor Jahren Solaranlagen installieren lassen. Auch in Rumänien geschieht dies bereits. Auch – oder vielleicht gerade – hier, in der Einfachheit und Abgeschiedenheit von Radeln, ist es wichtig, den Menschen den Wert der Natur zu verdeutlichen. Seit Jahren gibt es dort das große Problem, dass der einzige Bach, der durch den Ort fließt, missbraucht wird. Bewohner kippen ihre Abfälle ins Wasser. In entsprechendem Zustand ist der Bach heute noch. Als wir im Sommer 2011 das Kinderschutz-Projekt eröffneten, war es eines unserer ersten Ziele, mithilfe von Kläranlagen das Gewässer wieder in einen Zustand zu bringen, der es erlaubt, dass das Wasser genutzt werden kann. Ich hoffe, dass wir diesen Zustand mithilfe der Behörden endlich dieses Jahr realisieren können. Es ist ein Teil unserer ökologischen Verpflichtung, Jugendlichen und den Besuchern vor Ort den Wert der Natur nahezubringen. Auch in Rumänien wird man nicht umhinkommen, sich dem Thema Nachhaltigkeit zu stellen.
Bild 16.: Selbstbewusstsein lernen im Umgang mit den Tieren auf der Finca
Reise in die Vergangenheit
Zurück zu den rumänischen Wurzeln
Angesichts der politischen Veränderungen in Osteuropa war es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis ich in das Land meiner Kindheit zurückkehren würde. Vermutlich war dies meinem Unterbewusstsein schon längst klar, aber bis der Entschluss so weit gereift war, dass er in die Tat umgesetzt werden konnte, hat es doch eine ganze Zeit gedauert. Es gab immer wieder Momente, in denen ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, letztendlich hat mir aber doch immer der finale Anstoß gefehlt. Dieser kam schließlich im Frühjahr 2008 in Form einer Anfrage der ARD, die eine Dokumentation mit mir drehen wollte. Im Grunde rannte man damit bei mir offene Türen ein. Trotzdem schob ich die Einladung tagelang auf meinem Schreibtisch hin und her. In meiner Brust schlugen zwei Herzen – zum einen brannte ich darauf, noch einmal auf den Spuren meiner Vergangenheit zu wandeln. Ich wollte wissen, wer ich wirklich bin, wo ich herkomme. Hat sich dieses Land verändert? Das Land, an das ich noch immer oft denken musste. Szenen aus meiner Kindheit gingen mir nicht aus dem Kopf.
Bild 17.: Wieder zu Hause: Das Kinderhaus in Rumänien wird gebaut
Zum anderen war mir sofort klar, dass eine solche Reise in die Vergangenheit nur zusammen mit meinem Vater stattfinden konnte. Als ich ihn jedoch bat, mich nach Rumänien zu begleiten, hat er zunächst sehr zurückhaltend reagiert. Für ihn war es nachvollziehbar viel schwerer als für mich. Er hat die Zeit dort viel bewusster erlebt. Für mich sind es in erster Linie Erinnerungen an meine Kindheit, die ich mit Rumänien verbinde – eine Kindheit, die zwar nicht unbeschwert war, aber doch in gewissem Sinne behütet, dank meiner Eltern, die vieles von mir ferngehalten haben. Sie haben die Schikanen des Regimes selbst viel direkter abbekommen. Das hinterlässt Narben und macht auch verbittert. Deshalb war es unklar, ob sich der alte Herr auf dieses Abenteuer einlassen würde. Auch ich überlegte: Sollte ich ihm das noch einmal zumuten? Zurück zu den Wurzeln, die auch so viel Schmerzhaftes gebracht haben? Niemand von uns wusste, wie sich Rumänien entwickelt hatte. Wie tickte die Gesellschaft dort? Es war eine Reise ins Unbekannte – obwohl ich über die Jahre immer wieder von Menschen angesprochen wurde, die ebenfalls aus Siebenbürgen stammten, oder von Freunden, die von ihren Reisen dorthin berichteten.
Trotz aller Bedenken sagte mein Vater relativ schnell zu – eine Entscheidung, für die ich ihm noch heute dankbar bin. Außerdem wusste ich, wenn wir das nicht packen, setzen wir uns einfach in den Flieger und fliegen
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