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Der neutrale Planet

Der neutrale Planet

Titel: Der neutrale Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Dornenstrauch keine Blätter abzupfen, und Sie konnten nicht anders, als den Eingeborenen zu erschießen, der Sie angriff. Wenn die Sache wirklich so einfach wäre, würde ich Sie wegen Hitzigkeit verwarnen und es dabei belassen. Aber – «
    »Aber, Sir?«
    Devall zog die Brauen zusammen und sah den Jungen an.
    »Aber die Wesen wollen Ihnen selbst den Prozeß machen. Ihnen geht es nicht so sehr um den Mord, als um die doppelte Blasphemie, die Sie begangen haben. Der runzlige alte Hohepriester will Sie vor ein Klerikergericht bringen.«
    »Das lassen Sie doch nicht zu, oder, Colonel?« Leonards schien überzeugt davon zu sein, daß so etwas Unausdenkbares nie geschehen konnte.
    »Ich bin mir nicht so sicher, Paul«, sagte Devall leise, bewußt den Vornamen des Jungen verwendend.
    »Was, Sir?«
    »Was Sie getan haben, ist offensichtlich etwas sehr Ernstes. Der Hohepriester beruft Ihretwegen eine Priesterversammlung ein. Morgen mittag wird man hier wieder erscheinen, um Sie zu holen, sagte er.«
    »Aber Sie werden mich doch nicht übergeben, Sir! Schließlich war ich im Dienst. Ich hatte keine Ahnung von dem Verstoß, den ich beging. Das geht sie doch überhaupt nichts an!«
    »Machen Sie denen das klar«, sagte Devall tonlos. »Es sind fremde Wesen. Sie verstehen die rechtlichen Begriffe der Erde nicht. Sie wollen von unseren Gesetzen nichts hören. Nach den ihrigen haben Sie eine Blasphemie begangen, und das muß bestraft werden. Auf Markin hält man sich an die Gesetze. Es handelt sich um eine ethisch hochstehende Gesellschaft, ohne Rücksicht darauf, daß man technologisch noch nicht weit fortgeschritten ist. Ethisch stehen die Wesen auf derselben Ebene wie wir.«
    Leonards war leichenblaß geworden.
    »Sie übergeben mich?«
    Devall zuckte die Achseln.
    »Das habe ich nicht gesagt. Aber betrachten Sie das von meinem Standpunkt aus. Ich bin Leiter einer kulturellen und militärischen Mission. Unsere Aufgabe besteht darin, unter diesen Leuten zu leben, ihre Lebensweise kennenzulernen, sie zu leiten, so gut wir das in der begrenzten Zeit hier können. Wir versuchen zumindest, so zu tun, als achteten wir ihre Rechte als Einzelpersonen und als Rasse, wissen Sie.
    Nun, jetzt entscheidet es sich. Sind wir Freunde, die unter ihnen leben und ihnen helfen, oder sind wir Oberherren, die sie unter dem Daumen halten?«
    »Sir, das würde ich für eine unzulässige Vereinfachung halten«, sagte Leonards zögernd.
    »Mag sein. Aber der Fall liegt klar genug. Wenn wir ablehnen, heißt das, daß wir einen Abgrund von Überlegenheit zwischen der Erde und diesen Wesen aufreißen, trotz der großen Schau, die wir als angebliche Brüder aufgezogen haben. Und das wird sich auf andere Planeten verbreiten. Wir versuchen, uns wie Freunde zu gebärden, aber unser Verhalten im berühmten Fall Leonards zeigt uns in unserem wahren Licht. Wir sind arrogant, imperialistisch, herablassend und – verstehen Sie nun?«
    »Sie wollen mich also übergeben«, sagte der junge Mann leise.
    Devall schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß es nicht. Ich habe mich noch nicht entschieden. Wenn ich Sie übergebe, wird das sicherlich ein gefährlicher Präzedenzfall. Und wenn ich – ich bin nicht sicher, was dann geschehen wird.« Er zuckte die Achseln. »Ich werde den Fall an die Erde verweisen. Die Entscheidung liegt nicht bei mir.«
    Aber sie lag bei ihm, dachte er, als er die Unterkunft des Jungen verließ und mit steifen Beinen zum Nachrichtenraum ging. Er war an Ort und Stelle, und nur er konnte die komplexen Faktoren beurteilen, um die es ging. Die Erde würde fast mit Sicherheit die Entscheidung an ihn zurückverweisen.
    Für eines wenigstens war er dankbar: Leonards hatte nicht auf Grund ihrer familiären Verbindung einen Appell an ihn gerichtet. Das war Anlaß zum Stolz und einiger Erleichterung. Die Tatsache, daß der Junge sein Neffe war, würde er rigoros wegschieben müssen, bis das Ganze vorbei war.
    Der Funker war über seinen Arbeitstisch gebeugt und bemerkte ihn gar nicht. Devall wartete einen Augenblick, räusperte sich und sagte: »Mr. Rory?«
    Rory drehte sich um.
    »Ja, Colonel?«
    »Stellen Sie sofort eine Hyperradio-Verbindung mit der Erde her. Direktor Thornton im Amt für außerirdische Angelegenheiten. Und rufen Sie mich, wenn es soweit ist.«
    Es dauerte zwanzig Minuten, bis der Hyperraumimpuls die Lichtjahre durchzuckte und einen Empfänger auf der Erde erreichte, und weitere zehn Minuten, um über den Relaispunkt nach Rio de Janeiro

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