Der neutrale Planet
das Mädchen vor möglichen Schäden geschützt wurde. In ihrem Geist tobten ohnehin genug entsetzliche Dinge herum. Aber wenn er ihr seine Stärke lieh, das Gift des Alptraums absaugte, über ihre telepathische Verbindung die Auswirkungen selbst auf sich nahm und die Belastung ertragen und trotzdem noch mit dem fremden Geist reden konnte – das mochte gehen. Mochte.
Er ging zu ihrem Zimmer. Er umfaßte ihre Hand.
- Satina?
- So schnell Morgen, Doktor?
- Es ist noch früh, Satina. Aber hier ist heute etwas Besonderes im Gange. Wir brauchen deine Hilfe. Du mußt nicht, wenn du nicht willst, aber ich glaube, du könntest von großem Wert für uns und vielleicht so gar für dich selbst sein. Hör mir genau zu, und überlege es dir, bevor du Ja oder Nein sagst –
Gott helfe mir, wenn ich auf dem falschen Weg bin, dachte Mookherji, tief unter der Ebene der telepathischen Übertragung.
Niedergedrückt, allein, vor Elend und Hoffnungslosigkeit halb betäubt, hatte der Vsiir schon seit mehreren Stunden keinen Versuch zur Kontaktaufnahme mehr unternommen. Was hatte es für einen Zweck? Die Ergebnisse, wenn er einen menschlichen Geist berührte, waren immer dieselben; er erschöpfte sich dabei und beunruhigte offensichtlich die Menschen, ohne etwas zu erreichen. Die Sonne war aufgegangen. Der Vsiir überlegte, ob er das Gebäude verlassen und sich der gelben Solarstrahlung ohne jede Abwehr aussetzen sollte; das würde ein schneller Tod sein, ein Ende des ganzen Elends und der Sehnsucht. Es war Unsinn, davon zu träumen, daß er seinen Heimatplaneten jemals wiedersehen würde. Und – Was war das?
Ein Ruf. Klar, verständlich, unverwechselbar. Komm zu mir. Ein geöffneter Geist irgendwo in diesem Stockwerk, der weder die menschliche noch die Vsiir-Sprache benützte, sondern die wortlose, universal verständliche Verständigung, die stattfindet, wenn Geist direkt zu Geist spricht. Komm zu mir. Erzähl mir alles. Wie kann ich dir helfen?
In seiner Erregung glitt der Vsiir das Spektrum auf und ab, gab einen Blitz von Infrarot von sich, einen unruhigen Strahl Ultraviolett, grelles, sichtbares Licht, bevor er sich beherrschen konnte. Schnell peilte er die Richtung des Rufes an. Nicht weit entfernt: diesen Flur entlang, unter dieser Tür hindurch, durch diesen Gang. Komm zu mir. Ja. Ja. Der Vsiir streckte seine Denksonde aus, suchte nach Kontakt mit dem rufenden Gehirn und hastete weiter.
Mookherji, in direkter Verbindung mit Satinas Gehirn, spürte den plötzlichen, zerschmetternden Schock des Alptraums, und selbst aus zweiter Hand war die Wirkung ungeheuerlich. Er nahm die Berührung von Geist mit Geist wahr. Und dann ergoß sich in Satinas aufnahmebereites Gehirn – Eine Wand, höher als der Everest. Satina versuchte sie zu ersteigen, kletterte an einer glatten, weißen Fläche hinauf, krallte die Fingerspitzen in winzige Ritzen. Rutschte für jeden gewonnenen Meter zwei zurück, einen halben zurück. Unten eine brodelnde Grube, aus der Flammen emporschossen, stinkende Gase heraufdrangen, wo Ungeheuer mit nadelspitzen Zähnen auf ihren Sturz warteten. Die Wand wächst höher. Die Luft ist so dünn – sie kann kaum atmen, ihr Blick trübt sich, eine schmierige Hand quetscht ihr Herz, sie kann fühlen, wie ihre Venen sich aus dem Fleisch winden, wie Drähte aus einer zerstörten Zimmerdecke, und der Druck der Schwerkraft nimmt unaufhörlich zu – Schmerzen, ihre Lunge birst, ihr Gesicht sackt gräßlich herab – ein Strom von Entsetzen in ihrem Schädel – - Das ist alles nicht wirklich, Satina. Das sind nur Illusionen. Nichts davon geschieht wirklich.
Ja, sagt sie, ja, ich weiß. Aber trotzdem vibriert sie vor Angst, ihre Muskeln zucken wahllos, ihr Gesicht ist stark gerötet und verschwitzt, ihre Augen flattern unter den Lidern. Der Traum geht weiter. Wieviel kann sie noch aushalten?
- Gib ihn mir, sagt er zu ihr. Gib mir den Traum.
Sie begreift nicht. Egal. Mookherji weiß, wie er es machen muß. Er ist so müde, daß die Erschöpfung unwichtig wird; irgendwo im Bereich jenseits des Zusammenbruchs entdeckt er unerwartete Kräfte, greift in ihre betäubte Seele und zieht die Halluzinationen heraus, als seien sie Spinnwebfäden. Sie überwältigen ihn. Nun erlebt er sie nicht mehr indirekt, nun sind alle Phantome in seinem Schädel freigelassen, und während er noch spürt, daß Satina sich entspannt, stemmt er sich gegen den Ansturm der Unwirklichkeit, den er zu sich eingeladen hat. Und er wird fertig damit. Er
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