Der Nobelpreis
Tonnengewölbe über mir. »Wie es aussieht, wissen sie jetzt, dass es mich gibt«, erklärte ich und berichtete ihm kurz, was vorgefallen war, wobei ich Tollars Rolle nicht erwähnte, sondern so tat, als hätte ich die Lunte selber gerochen. Vielleicht, dachte ich, half es ihm, wenn er mich noch eine Weile für schlau und gerissen hielt.
Hans-Olof ächzte und schnaubte und brauchte etliche Minuten, bis er das alles verdaut hatte. »Und jetzt?«, fragte er endlich. »Heißt das, du kannst heute Abend nicht in Bosse Nordins Haus?«
»Da war ich zum Glück schon gestern Nacht«, erwiderte ich und spürte wieder die Wut in mir aufkochen. »Wusstest du, dass dein bester Freund ein Päderast ist?«
»Ein was? «
Ich erzählte ihm so ausführlich wie nötig, was ich vorgefunden hatte in der feinen Villa in dem feinen Vaxholm. Hans-Olof konnte es nicht glauben.
»Du denkst, dass diese Fotos bedeuten, dass Bosse die Mädchen … na ja …?«
Ich knurrte unduldsam. »Aufwachen, Hans-Olof, dies ist die böse Wirklichkeit. Was denn sonst? Das Datum ist ein Vermerk, wann er das Mädchen gekauft hat oder wie auch immer das vor sich geht. Und was die Strichliste anbelangt, ist ja wohl klar, was die bedeutet.«
Er hustete keuchend. »Du meine Güte. Ich fasse es nicht.«
Dann, nachdem er sich beruhigt hatte: »Was wirst du jetzt unternehmen?«
»Das muss ich mir erst überlegen«, log ich. »Hat sich Kristina noch mal gemeldet?«
»Nein.«
»War sonst irgendetwas?«
»Nein.« So, wie er das sagte, klang es, als sei er der ganzen Sache überdrüssig. Wahrscheinlich flüchtete er sich jetzt endgültig in seine Arbeit. Was hieß, dass jede Menge weiterer Mäuse dran glauben mussten.
Eine Hilfe würde er mir jedenfalls nicht mehr sein.
»Okay«, sagte ich, »ich melde mich, wenn’s bei mir was gibt. Hejd å . «
Ich kappte die Verbindung. Als ich das Telefon ausschaltete, fiel mir ein, dass ich ihn um Geld hätte bitten können.
Na ja, das war jetzt auch egal.
Gegen vier Uhr stand ich schließlich mit Sack und Pack bei Birgitta vor der Wohnung. Sie war zu Hause, aber alles andere als begeistert, mich zu sehen.
»Was soll das werden?«, maulte sie. »Bildest du dir jetzt irgendwas ein, bloß weil wir mal miteinander geschlafen haben?«
Ich hob die Hände. Die Geste der Wehrlosigkeit. Nie schlecht in solchen Situationen. »Es ist nur für ein paar Tage. Ich bin in der Pension rausgeflogen, in der ich war, und muss irgendwo unterkommen.«
»Und jetzt sag bloß, dass du außer mir niemanden kennst in Stockholm, dann glaub ich das auch noch.«
»Niemanden, zu dem es mich zieht.«
Sie öffnete die Tür einen Spalt weiter, verschränkte aber abwehrend die Arme. »Meine beste Freundin arbeitet in einem Gebäude, das nennt man ›Hotel‹. Schon mal gehört? Das ist für genau solche Fälle wie den deinen gedacht.«
»Glaube ich nicht«, entgegnete ich. »Ich habe nämlich keine zweihundert Kronen mehr in der Tasche.«
»Auch das noch.«
»Birgitta, gib deinem Herzen einen Stoß«, sülzte ich. »Es ist für einen guten Zweck.«
Sie nahm die Arme auseinander, stemmte sie in die Seiten. Gutes Zeichen. »Aber bilde dir nichts ein. Du schläfst auf der Klappcouch im Wohnzimmer. Die Schlafzimmertür bleibt verriegelt.«
»Ich bin für alles offen«, versicherte ich ihr, »für einsame Nächte genauso wie für die Möglichkeit, dass mehr daraus wird …«
»Schlag dir das aus dem Kopf!«, versetzte sie heftig. Dann seufzte sie. »Entschuldige. Weißt du, ich finde dich attraktiv und so weiter, aber ich kann unmöglich eine Beziehung mit jemandem anfangen, der so negativ drauf ist wie du.«
»… und außerdem«, fügte ich hinzu, »muss ich dir jetzt die Wahrheit sagen.«
KAPITEL 40
Nachdem ich ihr alles erzählt hatte, war sie erst einmal völlig fertig.
Wir saßen wieder in ihrer kleinen Küche, an ihrem kleinen Tisch, die Platte mit dem seit vorgestern arg dezimierten Beständen an Julkuchen zwischen uns. Draußen herrschte eine trübe, vom Widerschein der verschneiten Grasflächen und dem gelblichen Licht der Straßenbeleuchtung gefärbte Dämmerung, und der Heizkörper unter dem Fenster bullerte kräftig gegen die Kälte an.
»Entführt? Kristina?«, wiederholte sie, als hätte ich daran irgendwelche Zweifel gelassen.
»Seit zwei Monaten«, sagte ich also noch mal.
»Um den Nobelpreis zu erpressen?«
»In Medizin.«
Sie strich sich fahrig durchs Haar. »Wer hat den überhaupt gekriegt? Ich kümmere mich
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