Der Nobelpreis
da nie groß darum …«
»Eine gewisse Sofía Hernández Cruz. Eine Spanierin, die aber in der Schweiz lebt und für einen Pharmakonzem namens Rütlipharm AG arbeitet.«
»Und die haben ihr den Nobelpreis sozusagen gekauft?«
»Sieht ganz so aus.«
»Das ist doch an sich schon ein Skandal.«
Ich schüttelte den Kopf. »Skandale interessieren mich nicht. Mich interessiert nur das Leben meiner letzten lebenden Angehörigen.« Meine Zweifel, ob sie überhaupt noch lebte, erwähnte ich für den Moment lieber nicht; Birgitta war auch so schon sichtlich fertig mit den Nerven.
Sie sprang auf. »Die muss ich sehen. Ich muss mir dieses Weib anschauen.« Damit eilte sie hinaus und hinüber ins Wohnzimmer. Ich hörte, wie der Fernseher anging und sie durch die Programme zappte.
Nach einer Weile kam sie zurück. »Nichts. Man könnte meinen, es gäbe überhaupt keinen Nobelpreis.«
Sie setzte sich wieder, fürchte die Stirn, starrte vor sich auf den Tisch und schüttelte den Kopf. »Ich kann das nicht glauben«, sagte sie. Als wäre es das Dringendste auf der Welt, holte sie Teller für jeden von uns. »Ich kann das einfach nicht glauben«, wiederholte sie währenddessen. »Kristina ist … Sie ist so … also, weißt du, ich traue ihr zu, dass sie erkennt, wenn jemand hinter ihr her ist. Und dass sie sich wehrt. Vor allem das. Kristina würde sich wehren, mit Händen und Füßen und aller Kraft.«
Sie legte mir ein Stück Kuchen hin und warf mir einen kurzen, prüfenden Blick zu, wie um festzustellen, ob das, was sie sagte, überhaupt Eindruck auf mich machte. »Die Kinder kriegen bei uns an der Schule ein Selbstbehauptungstraining, weißt du? Wir bringen ihnen bei, dass sie sich nichts gefallen lassen müssen.«
»Mag sein«, stimmte ich zu. »Aber es ist eine Sache, sich gegen einen Onkel oder sonstigen Verwandten zu wehren, der unsittliche Absichten hat, und eine völlig andere, sich gegen Profis zur Wehr zu setzen. Da hat ein Kind keine Chance. Auch du hättest keine Chance. Es ist sogar fraglich, ob jemand wie ich eine Chance hätte.«
Birgitta schluckte. Sie brach etwas von ihrem Pfefferkuchen ab, aber sie aß es nicht, sondern zerkrümelte es in immer kleinere Stücke. »Kristina würde sich in so einem Fall an die Polizei wenden. Da bin ich mir sicher.«
»Gut, bloß bleibt dazu wenig Gelegenheit, wenn man vom Bürgersteig in ein Auto gezerrt wird. Abgesehen davon steckt die Polizei in der Verschwörung mit drin.«
»So ein Quatsch!«
»Tut mir Leid, wenn ich dein Bild von der heilen Welt störe.«
»Gunnar, wir leben in Schweden. Nicht in Kolumbien.«
»Schweden, ja sicher. Zufällig das Land, in dem man ungestraft den Ministerpräsidenten umbringen kann.« Ich aß etwas von dem Kuchen. Ich hatte Hunger, merkte ich. »Erinnerst du dich an die Ermittlungen damals? Wie viel da verschlampt und vertuscht worden ist? Das stank alles förmlich nach Verschwörung. Olof Palme war einigen einflussreichen Leuten im Weg. Leuten, die er unterschätzt hat. Und glaubst du, die Netze und Seilschaften, die damals so bequem einen lästigen Politiker losgeworden sind, haben inzwischen einfach aufgehört zu existieren? Wunschdenken. Das ist heute alles zementiert, eine unangreifbare gesellschaftliche Festung. Die da drin, wir hier draußen. So läuft das.«
Birgitta sah mich entsetzt an, bleich wie eine getünchte Wand. Es tat mir Leid, sie so durcheinander bringen zu müssen, aber ich konnte nicht anders. Das war die Gelegenheit, sagte ich mir, sie aufzuwecken, ihre Illusionen von der friedlichen, im Grunde freundlichen Welt, die sie da in ihrem Reservat Schule hegte, zu verscheuchen und sie wachsam zu machen für das, was sich hinter den hübschen Kulissen abspielte.
Und was von dort drohen konnte.
»Nimm einen anderen Fall«, fuhr ich fort. »Belgien. Dieser Kerl, der jahrelang einfach Mädchen von Spielplätzen oder von der Straße entführt hat. Er hat sie in seinem Keller versteckt, an perverse Kunden verkauft oder eben verhungern lassen, wenn sie ihm lästig wurden. Die Fragen, die das Gerichtsverfahren offen ließ, würden ein ganzes Buch füllen. Beispielsweise ist nie geklärt worden, wer diese Kunden eigentlich waren. Wen der Typ beliefert hat. Stattdessen wurde auf Befehl von ganz oben ein Staatsanwalt abberufen, der sich geweigert hat, sich in seine Ermittlungen reinreden zu lassen. Wichtige Zeugen sind unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. Und so weiter. Man muss schon beide Augen fest
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