Der Nobelpreis
fragen?
»Komm«, sagte Tollar nur und zog mich weiter.
Wieso waren sie hinter mir her? Fieberhaft ließ ich die letzten Tage Revue passieren und suchte nach einem Vorfall, der sie auf meine Spur gesetzt haben konnte. Hatte es mit Hungerbühls Rückkehr zu tun? Hatte ich eine Kamera übersehen? War in Bosse Nordins Haus eine versteckte Videokamera installiert gewesen? Aber ich hatte dort keinen Alarm ausgelöst; wieso hätte jemand die Aufzeichnungen kontrollieren sollen?
Als wir hinter die nächste Hausecke gebogen waren, blieb Tollar stehen und ließ mich los.
Ich setzte meinen großen schwarzen Rucksack voller belastendem Material ab, dessen Riemen mir Furchen in die Schultern drückten. »Okay«, sagte ich, »der Reihe nach. Was ist passiert? Wann sind sie aufgetaucht? Was haben sie gesagt? Sie müssen irgendeinen Grund angegeben haben.«
War es am Ende irgendetwas Banales? War ich auf dem Weg nach Vaxholm in eine Radarfalle geraten? Hatte eine Routineüberprüfung den Verdacht ergeben, dass ich meine Bewährungsauflagen nicht erfüllte?
Oder wussten sie inzwischen schlicht und einfach Bescheid über mich und waren gekommen, um mich aus dem Verkehr zu ziehen?
Tollar wartete, bis zwei ältere Frauen an uns vorbei waren, dann beugte er sich zu mir herab. Es war mir nie aufgefallen, um wie viel größer als ich er eigentlich war. In der Pension war er immer nur verkrümmt und gebückt herumgelaufen.
»Jeder von uns«, erklärte er, »muss seinen Kampf gegen die Mächte Satans auf seine Weise führen.« Sein Blick suchte unruhig die Umgebung ab, während er in die Stofftasche griff.
»Hier, das habe ich aus deinem Zimmer gerettet.« Er holte meine Mappe mit den Unterlagen heraus, die ich unter der Matratze verwahrt hatte.
»Oh«, entfuhr es mir. Offenbar war ich, als er am Tag zuvor bei mir hereingeplatzt war, doch nicht so flink gewesen, wie ich gedacht hatte. »Danke.« Ich sah den Inhalt durch. Wie es schien, war alles dabei, sogar die Diskette.
Allerdings – weitaus nötiger hätte ich Geld gebraucht. Hinter der Nachttischschublade wären noch wenigstens fünfzehntausend Kronen in bar gewesen. Auch der Schlüssel zu meinem Schließfach lag dort.
Tollar griff ein weiteres Mal in seinen Beutel. »Und das«, sagte er fast feierlich, »wirst du auch brauchen.«
Und zu meinem Entsetzen reichte er mir, eingewickelt in eine meiner frischen Unterhosen, Hans-Olofs Pistole.
Damit ließ er mich stehen, drehte sich wortlos um und ging davon, ein großer, graugrüner Rasputin. Heilige Scheiße! Ich steckte das schwere, weiße Bündel ein und versetzte dem nächsten Schneehaufen einen wütenden Tritt.
Eine Bahnhofshalle ist ein guter Ort, um mit einem dicken Rucksack zwischen den Knien dazusitzen und nachzudenken. Ich hatte einen guten Platz neben dem Springbrunnen aus rotem Marmor, wo ich den anderen Reisenden in ihren unterschiedlichen Stadien der Eile oder Muße zusehen und dabei meine Gedanken sortieren konnte. Der einzige Nachteil war der Kaffeeduft, der von dem nahen Café herüberwehte. Ich hätte jetzt einen Cappuccino liten brauchen können, aber der kostete sechsundzwanzig Kronen, was beim augenblicklichen Stand meiner Barschaft indiskutabel war.
Mit einem einzigen Schlag hatte sich meine Situation drastisch verändert. Nicht nur, dass ich kein Dach mehr über dem Kopf hatte, ich besaß auch praktisch kein Geld mehr und hatte ohne den Schlüssel zu meinem Schließfach darüber hinaus keine Aussicht, an meine Reserven zu gelangen. Auch mein Auto musste ich bis auf weiteres abschreiben: Als ich mich noch einmal bis an die Straßenecke gewagt und nachgesehen hatte, hatten zwei Beamte direkt daneben Wache gestanden.
Was war mir verblieben? Immerhin meine Freiheit, einstweilen jedenfalls. Ein Rucksack voller Ausrüstung für einen Einbruch in ein schwedisches Nationalheiligtum. Zum Glück hatte ich auch mein Werkzeugtäschchen einstecken; die gute Taschenlampe allerdings lag noch im Handschuhfach. Und dann hatte ich noch, nicht zu vergessen, das Telefon, den heißen Draht zu meinem halb wahnsinnigen Schwager.
Wenig genug.
Ich rief ihn an und sagte anstatt einer Begrüßung: »Schlechte Neuigkeiten.«
»Was?« Ich konnte ihn förmlich zusammenzucken hören. Wenn das so weiterging, würden Kristinas Entführer es nicht nötig haben, überhaupt Hand an ihn zu legen: Nach der Nobelfeier würde ihn einfach der Schlag treffen.
Ich legte den Kopf in den Nacken und betrachtete das weite, graue
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