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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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die Augen auf, warf den Kopf zurück und rümpfte die spitze Nase. »Was? Das ist aber ein sehr unfreundlicher Ton. Wer sind Sie überhaupt?«
    »Unfreundlich? Ich?« Ich beugte mich vor. »Ich habe noch gar nicht angefangen, unfreundlich zu sein. Richtig unfreundlich werde ich erst, falls Sie es wagen sollten, Birgitta noch einmal wegen ihres Staubsaugers zu belästigen. Dann, Verehrteste, werden Sie mich so richtig kennen lernen.«
    Ihr Mund ging auf und wieder zu, aber es war mir offenbar gelungen, sie so zu schocken, dass sie sprachlos war. Mit einem unartikulierten Laut, der vermutlich Empörung war darüber, dass jemand es wagte, sein Eigentum behalten zu wollen, drehte sie sich um und stapfte davon. Ich schloss die Tür und spazierte zutiefst befriedigt zurück in die Küche.
    »Siehst du?«, sagte ich. »Es ist im Großen genau so wie im Kleinen. Du musst dich wehren in dieser Welt, sonst wirst du untergebuttert.«
    Birgitta saß reglos da und starrte durch das Fenster hinaus in die Dunkelheit.
    »Ich kann es trotzdem nicht glauben«, sagte sie nach einer langen Weile und sah mich an. In ihren Augen stand ein Entsetzen, das zu sehen mir wehtat. »Ich kann nicht glauben, dass das wahr ist.«
    Dass die Welt in den Händen Satans ist? Ich spürte plötzlich die trübe Gewissheit, dass selbst dieses zerstrittene Zusammensein mit Brigitta nur ein Moment vergänglichen Glücks war. Nicht einmal so viel würde bleiben. War es eine Ahnung? Ich sah sie nur an, ihre großen, braunen Augen, ihr verschrecktes Gesicht, das den Tränen nahe war, und fragte mich, was sein würde, wenn am elften Dezember ein totes Mädchen gefunden und als Kristina Andersson identifiziert werden würde. Oder wenn sie niemals wieder auftauchte? Wie sollte ich dann weiterleben?
    Das kann ich nicht, dachte ich. Wir schwiegen, ich dachte an Inga und an die Pistole auf dem Grund meines Rucksacks. Ich glaubte auf einmal zu wissen, dass ich sie noch brauchen würde.
     
    Ich musste später doch nicht auf der Klappcouch im Wohnzimmer schlafen. Birgitta klammerte sich an mich wie eine Ertrinkende, war unersättlich, schien alles vergessen zu wollen in immer neuen Anläufen auf die körperliche Lust.
    Danach lagen wir wieder Bauch an Rücken, und wieder passten unsere Körper zusammen wie zwei Teile eines Puzzles. Sie stellte der Dunkelheit tausend Fragen. Im Gegensatz zu mir war sie hellwach.
    Ob ich nie daran gedacht hätte, selber zu heiraten, eigene Kinder zu kriegen? Eine eigene Familie zu gründen?
    »Doch«, sagte ich. »Manchmal schon.« Ich spürte den Erinnerungen nach, die sich mit diesen Gedanken verknüpften. Lena. Mit ihr war ich diesem Leben am nächsten gekommen. Mit ihr zusammenzuziehen war so etwas wie eine Reaktion auf Ingas Heirat gewesen. »Aber ich habe es nie wirklich gewagt. Das wäre in meinem Job schlecht gegangen.«
    »Industriespion«, murmelte sie und strich mir über den Arm. »Ich musste gerade daran denken, dass wir Lehrer in der ersten Klasse immer fragen, was die Eltern von Beruf sind. Ich glaube, den meisten Kindern wäre es peinlich, wenn sie ›Industriespion‹ sagen müssten.«
    »Erst recht, wenn der Vater gerade im Gefängnis sitzt.«
    Es war seltsam bedrückend, darüber nachzudenken, was hätte sein können, aber nicht war. Die ganzen letzten Tage hatte ich nur bis zum zehnten Dezember gedacht.
    Doch angenommen, ich überstand das alles irgendwie lebend, was dann? Um weiter arbeiten zu können, würde ich Schweden verlassen müssen. Mehr noch, ich würde ein Land finden müssen, das nicht an Schweden auslieferte, und ich hatte den dunklen Verdacht, dass ein solches Land so weit von den Zentren der globalen Wirtschaft entfernt lag, dass ich einen ernsthaften Mangel an Kundschaft zu befürchten hatte.
    »Wie sind eure Eltern eigentlich gestorben?«, fragte Birgitta. Anderes Thema. Leichter.
    »Ein Betriebsunfall. Hat man uns zumindest gesagt, aber ich glaube, dass es stimmt. Sie haben beide in einem Chemiewerk in Helsingborg gearbeitet, Helsingkemi, falls dir das was sagt; die Firma existiert seit den achtziger Jahren nicht mehr. Jedenfalls ist da im Oktober 1969 ein Werksteil auf spektakuläre Weise explodiert. Es gab hundertvierzig Tote, darunter unsere Eltern.«
    »Wie furchtbar.« Sie drückte meinen Arm an sich. »Und ihr seid ins Heim gekommen.«
    »Ja. Ich war drei Jahre alt, Inga vier.«
    »Erinnerst du dich überhaupt noch an deine Eltern?«
    Das habe ich mich oft gefragt. Da ist ein Duft in meiner

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