Der Nobelpreis
zudrücken, um nicht zu sehen, dass höchste Kreise Belgiens in diese Angelegenheit verwickelt sind.«
Sie starrte mich an wie ein hypnotisiertes Kaninchen und sagte kein Wort. Vor sich auf dem Teller hatte sie nur noch einen großen Haufen Krümel.
»Von den Machenschaften der Ölkonzerne, der Waffenhändler und so weiter will ich gar nicht erst anfangen. Wenn etwas Geld oder Macht oder beides bringt, gibt es kein Halten mehr. In meinem Job habe ich das oft genug gesehen. In der Forschungsabteilung eines Nahrungsmittelkonzerns habe ich Rezepte fotografiert, wie man aus Rinderblut etwas macht, das man als Schokoladencreme verkaufen kann. Bei einem Müllentsorger habe ich Pläne gefunden, giftiges Altöl mit Hühnerfutter zu vermischen, um es billig loszuwerden. Ich habe Protokolle gelesen von Absprachen aller europäischen Hersteller von Vitaminen, hundertfach überhöhte Preise zu verlangen. Und und und.«
Birgitta schüttelte widerspenstig den Kopf. »Das sind trotzdem alles nur Ausnahmen. Klar, kann sein, dass man in bestimmten Bereichen mehr Erfolg hat, wenn man rücksichtslos ist. Aber die, die auf diese Weise nach oben steigen, sind doch am Schluss wieder unter ihresgleichen! Wenn du in deren Büros herumschnüffelst, ist es bloß logisch, dass du den entsprechenden Schmutz findest. Davon kannst du nicht auf den Rest der Menschheit schließen. Gewöhnliche Menschen, die Leute, mit denen ich tagtäglich zu tun habe, die sind nicht so. Normale Menschen sind mittelmäßig. Die lieben ihre Familien, so gut sie können, schlagen sich mit einem Job durchs Leben, so gut es geht, und das ist es dann. Die sind nicht böse. Die suchen einfach ihr kleines Glück, und dabei stellen sie sich oft reichlich blöd an. Fertig, aus. Das ist die ganze Geschichte.«
Ich hob die Augenbrauen. »Deinem Tonfall entnehme ich, dass du wirklich glaubst, was du da sagst.«
»Allerdings«, bekräftigte sie. »Und ich glaube es nicht nur, es ist meine Erfahrung. «
Es war einer jener Zufälle, die man kaum glaubt, wenn man sie nicht selber erlebt hat, dass es ausgerechnet in diesem Augenblick an ihrer Wohnungstür klingelte. Zweimal kurz, und das genügte, um Birgitta zusammenzucken zu lassen.
»Ach herrje!«, entfuhr es ihr. Sie hielt den Zeigefinger vor die Lippen. »Pst, leise.«
»Wieso, wer ist das?«
Es klingelte noch mal. Wieder zweimal kurz, auf schwer zu beschreibende Weise ziemlich aufdringlich.
»Mist«, zischte Birgitta. »Bestimmt hat sie mich schon gehört. Die geht jetzt nicht mehr weg.«
»Von wem, bitte, redest du?«, fragte ich noch einmal.
»Das ist meine Nachbarin von unten. Ich hasse das. Die leiht sich immer meinen Staubsauger, wenn ich es absolut nicht brauchen kann. Und nicht genug, dass sie ihn wochenlang nicht wiederbringt, sie macht auch noch jedes Mal den Beutel randvoll.«
»Warum leihst du ihr ihn dann überhaupt?«
»Keine Ahnung. Ich bringe es einfach nicht fertig, nein zu sagen.«
Ich musste unwillkürlich grinsen. »Kein Problem«, sagte ich und stand auf.
Sie brauchte eine Schrecksekunde, ehe sie begriff. Ich war schon im Flur, als sie aufsprang. »Halt, Gunnar! Nein! Das geht dich überhaupt nichts an. Hörst du?« Sie kam mir nachgerannt, um im Flüsterton auf mich einzureden. »Du kannst dich doch nicht einfach in meine Angelegenheiten einmischen! Dir gefällt das vielleicht, dich als starker Mann aufzuspielen, aber ich muss mit der Frau auskommen, verstehst du? Ich begegne ihr jeden Tag im Treppenhaus, muss sie grüßen und so weiter.« Sie stellte sich mit dem Rücken zur Wohnungstür, in dem armseligen Versuch, sie zu blockieren. »Du wirst nicht, ich wiederhole, nicht … «
Ich packte die Klinke. »Du kannst zuschauen, wenn du willst«, bot ich an. Es klingelte ein drittes Mal, noch unduldsamer als zuvor. Ich drückte die Klinke, und Birgitta tauchte mit einem letzten wütenden Blick unter meinem Arm weg und huschte in die Küche.
Vor der Tür stand eine langbeinige Frau mit gebleichten, wild frisierten Haaren, schlechter Haltung und langen Fingern mit Unmengen von Ringen daran. Sie hatte dunkle, eingefallene Augen, aus denen sie mich verwundert musterte.
»Guten Tag«, sagte ich. »Sie wünschen?«
»Ähm«, räusperte sie sich. »Ich wollte Birgitta fragen, ob sie mir mal kurz ihren Staubsauger leiht.«
»Nein«, erwiderte ich. »Wird sie nicht. Birgitta hat Ihnen ihren Staubsauger oft genug geliehen. Es ist jetzt Zeit, dass Sie sich einen eigenen kaufen. Klar?«
Sie riss
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