Der Nobelpreis
aus anderen Gründen gleicher als gleich waren. Die Stimmführer. Die Partylöwen. Leute mit einflussreichen Verbindungen in die Industrie. Die Alphatiere eben, die es in jeder Gruppe gab.
Hans-Olof hatte noch bei keiner Nobelversammlung am Tisch gesessen. Er ging die Polsterstühle ab, die entlang der Fenster und Wände standen, und las die Namen auf den Kärtchen, die darauf lagen. Auf drei der Stühle hatte jemand die gerahmten Fotos der toten Professoren gestellt, jedes mit bauschigem schwarzem Flor versehen. Seinen eigenen Platz fand er schließlich in der unattraktivsten Stuhlreihe, derjenigen unter den schwarz-weißen Wandteppichen, die in ihrer Gesamtheit ein Kunstwerk mit dem Titel Grenze zwischen Dunkel und Licht darstellten. Irgendwie passend.
Hans-Olof setzte sich und spürte wieder diesen Druck in der Brust, der ihm das Herz zusammenzupressen schien. Angina Pectoris? Alfred Nobel hatte in den letzten Jahren seines Lebens daran gelitten und hatte, ein Treppenwitz der Weltgeschichte, mit Nitroglycerin behandelt werden müssen, jenem Stoff, auf dessen Nutzbarmachung als Sprengstoff sein unternehmerisches Werk beruhte. Erst vor einigen Jahren waren die drei amerikanischen Wissenschaftler Furchgott, Ignarro und Murad mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden, weil sie entdeckt hatten, dass es sich bei dem Botenstoff EDRF, der dafür verantwortlich ist, dass das Gewebshormon Acetylcholin imstande ist, Blutgefäße zu weiten, um nichts anderes als simples Stickstoffmonoxid handelte, womit erstmals erklärt worden war, worauf die krampflindernde Wirkung von Nitroglycerin beruhte.
Hans-Olof schloss die Augen, spürte kalten Schweiß auf der Stirn und dem Rücken, wartete einfach, und schließlich vergingen die Schmerzen von selbst.
Nach und nach kamen die anderen herein, tröpfelnd zuerst, dann in einer regelrechten Flut, dann wieder tröpfelnd. Als Letzter betrat Ingmar Thunell den Raum. Ein Wachmann schloss hinter ihm die Tür.
Der Vorsitzende des Nobelkomitees setzte sich nicht. »Guten Morgen, meine Damen und Herren«, sagte er und blickte ernst in die Runde. »Ich schlage vor, dass wir uns zunächst erheben und in einer Schweigeminute unserer letzte Woche so unerwartet verstorbenen Kollegen gedenken.«
Rascheln, Murmeln, ächzendes Sich-Erheben, dann standen die siebenundvierzig verbliebenen Mitglieder des Kollegiums stumm da, die Hände vor den Bäuchen überkreuzt, die Blicke gesenkt, und Stille trat ein.
»Danke«, sagte Thunell nach einer Weile, die eine Minute gewesen sein mochte oder auch nicht.
Das Ritual der Versammlung begann. Die Mitglieder des Komitees stellten die Kandidaten vor, die sie in die engere Wahl gezogen hatten. Es gab ein paar Widerworte, unter anderem, wie immer, von Knut Hultmann, einem Professor der chirurgischen Fakultät, der jedes Jahr in einem einsamen Kampf versuchte, Kandidaten aus Afrika oder Asien durchzudrücken, einfach weil sie aus Afrika oder Asien kamen. Ein Proporzgedanke, der diesem Komitee fremd war. »Wir sind nicht der Literaturnobelpreis, Knut«, mahnte Ingmar Thunell auch dieses Mal wieder und erntete schwaches Gelächter.
Hans-Olof hörte kaum zu. Plötzlich war er unsagbar müde.
Die kurze Nacht machte sich bemerkbar. Außerdem war die Sonne herausgekommen und brachte die gegenüberliegenden Fenster zum Leuchten, die ihm seit jeher wie breite Schießscharten vorgekommen waren. Das Licht blendete ihn. Schießscharten, genau. Dies war immer der Wehrgang einer Festung gewesen, eines Bollwerks gegen die Mächte von Zerfall, Niedergang und Dunkelheit.
Genau die Mächte, die sich nun anschickten, heimlich Zugang zu dieser Burg zu erlangen und sie von innen her zu erobern. Und er, ausgerechnet er hatte ihnen das Fallgatter geöffnet.
Er schrak hoch, als ihn sein Nebenmann, ein Krebsforscher namens Lars Bergkvist, leicht am Ellbogen berührte. »Es geht los«, flüsterte er.
Die Abstimmung, ja, richtig. Hans-Olof streckte den Rücken und atmete tief ein. Nun galt es. Ingmar Thunell rief nacheinander die Namen der Vorschlagsliste auf und bat um Handzeichen, der Schriftführer machte sich bereit, die gezählten Stimmen zu notieren.
»Professor Mario Gallo.«
Der Favorit. Die Lichtgestalt der modernen Zellforschung. Ein Forscher, über den fast jeder hier im Raum schon Anerkennendes gesagt hatte.
Armselige fünf Hände hoben sich.
»Ich zähle fünf Stimmen für Mario Gallo«, resümierte Thunell mit erhobenen weißen Augenbrauen und nicht ohne verwunderten
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