Der Nobelpreis
Ohr. »Also, Professor Andersson, die Spielregeln sind wie folgt. Sie verlieren kein Wort über diese Angelegenheit, gegenüber der Polizei nicht und auch gegenüber sonst niemandem. Morgen früh melden Sie Kristina in der Schule krank, damit dort keiner unnötig Verdacht schöpft. Und dann gehen Sie in die Nobelversammlung und stimmen dafür, dass Frau Professor Sofía Hernández Cruz der diesjährige Nobelpreis in Medizin und Physiologie zuerkannt wird, und zwar ungeteilt. Das ist schon alles. Wenn Sie sich an diese Regeln halten, werden Sie Ihre Tochter wohlbehalten wiedersehen. Wenn nicht, nicht. Ist das so weit klar?«
»Ja«, bestätigte Hans-Olof Andersson. »Völlig klar.«
»Es ist mir immer eine Freude, es mit Menschen von rascher Auffassungsgabe zu tun zu haben«, sagte der Unbekannte.
Im nächsten Moment war die Leitung stumm. Er hatte ohne ein weiteres Wort aufgelegt.
KAPITEL 9
Erst konnte er nicht einschlafen in dieser Nacht, dann schlief er wie betäubt und erwachte beim ersten Licht des Morgens in einem Haus, das viel zu still war. Er lag lange wach, unfähig, sich zu rühren, sah reglos zu, wie das Grau der Dämmerung den fahlen Farben eines Herbstmorgens wich, wälzte sich schließlich mit dem Gefühl aus dem Bett, völlig ausgebrannt zu sein. Seine eigenen Schritte dröhnten ihm in den Ohren, aber irgendwie schaffte er es, sich zu waschen und zu rasieren und zu funktionieren und zu frühstücken und seinen besten Anzug anzuziehen, den, den er immer getragen hatte an diesem stolzen Tag.
Heute war kein stolzer Tag. Heute war der Tag der Niederlage. Heute war der Tag, an dem das Böse triumphierte.
Ehe er aufbrach, rief er in Kristinas Schule an. Diesmal vergewisserte er sich, auch wirklich die Schulsekretärin am Apparat zu haben, und erklärte ihr dann, dass seine Tochter krank sei und für ein paar Tage das Haus hüten müsse.
»In Ordnung«, sagte sie, »ich trage es ein.« Sie wusste, dass er Mediziner war. Sie würde nicht auf die Idee kommen, seine Worte anzuzweifeln. Und falls sie sich noch Gedanken über sein gestriges Verhalten machte, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken.
Wahrscheinlich hatte sie es längst vergessen. Oder überhaupt nicht bemerkt, dass er in Panik gewesen war.
Es regnete, als er am Nobelforum ankam. Das schlechte Wetter und die Präsenz der Sicherheitsleute veranlassten die bereits anwesenden Journalisten zu wohltuender Zurückhaitung, und Hans-Olof konnte das Gebäude betreten, ohne mit Fragen behelligt zu werden. Sie liefen sich erst warm, die Fernsehleute. Der Nobelpreis für Medizin und Physiologie war traditionell der erste, über den entschieden wurde. Er sah Männer in Ölzeug, die zwischen einem Fernsehwagen und einem Seiteneingang, durch den man das Wallenberg-Auditorium im hinteren Teil des Gebäudes erreichte, Kabel verlegten. In diesem Saal würde frühestens um elf Uhr dreißig die Pressekonferenz stattfinden, auf der das Nobelkomitee den oder die Gewinner bekannt gab.
Viele der anderen Professoren waren schon da, standen in kleinen Gruppen im Foyer verteilt, unterhielten sich, scherzten. Hans-Olof war nicht zum Scherzen zumute. Er ging schweigend in die Garderobe, hängte seinen Mantel an einen der Kleiderbügel, die dort in langen, hungrigen Reihen bereithingen, und empfand Unbehagen beim Anblick der feuchten Flecken, die seine Schuhe auf dem Boden aus poliertem Jämtlander Kalkstein hinterließen. Als folge ihm ein Schatten, der darauf wartete, ihn zu verraten.
Unbehelligt erreichte er die Treppe, die hinaufführte auf die von schlanken Säulen getragene Galerie. Das hohe, schmale Fenster aus Glasblöcken glomm Unheil verkündend über ihm, als er die Stufen hochstieg und sich schuldig fühlte. Bloß: Warum eigentlich? Er hatte doch schon lange bevor dieses ganze Unheil auf ihn hereingebrochen war vorgehabt, für Sofía Hernández Cruz zu stimmen. Dass ihm nun genau das befohlen worden war, änderte nichts daran, dass es seine ursprüngliche, freie Entscheidung gewesen war. Er tat nichts Unrechtes. Er hatte sich nicht bestechen lassen, und er musste nicht einmal den Geist Alfred Nobels verraten, um seine Tochter heil zurückzubekommen.
Denn darum ging es. Um Kristina. Seinetwegen war sie in Gefahr. Seinetwegen machte sie all das durch. Wie mochte sie die Nacht verbracht haben? Wie mochte es ihr gerade gehen? Wie würde sie dieses Ereignis verkraften?
Und: Hatten ihre Entführer ihr auch wirklich nichts angetan? Einem bildhübschen,
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