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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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neben ihr saß und ihre beste Freundin war. Ob Kristina bei ihr sei.
    »Nein, wieso?«, fragte sie.
    Hans-Olof bemühte sich, ruhig zu wirken, nicht wirklich besorgt, eher, als hätte sich in irgendwelchen Tagesplanungen eine unvorhergesehene Änderung ergeben, die es notwendig machte, dass Kristina möglichst bald nach Hause kam. »Nun, sie ist nicht zu Hause, und ich dachte, vielleicht ist sie bei dir. Ihr macht doch manchmal Hausaufgaben zusammen und so, soweit ich weiß?«
    Das Mädchen kicherte, als habe er unbeabsichtigt ein Stichwort geliefert, irgendeine weitere gemeinsame Aktivität der beiden betreffend, von der er nichts wissen durfte. Jungs, vermutlich.
    »Ja«, sagte sie dann, »aber heute nicht. Wir haben auch fast nichts auf heute.«
    »Weißt du, wo sie sonst noch sein könnte?«
    »Nein. Sie wollte eigentlich gleich heimgehen.«
    Hans-Olof musste sich setzen. »Bist du sicher? Könnte sie nicht bei einer anderen Freundin sein?«
    » Nej, glaub ich nicht«, meinte das Mädchen unbekümmert. »Höchstens bei Annika, aber mit der hat sie sich verkracht.«
    Er rief Annikas Mutter trotzdem an und erfuhr, dass Kristina tatsächlich nicht dort war. Und dann saß er da, im erdrückend stillen Flur seines Hauses, und starrte vor sich hin, stundenlang, wie es ihm vorkam. Er fühlte sich wie betäubt. Er wusste nicht mehr weiter. Was um alles in der Welt sollte er denn jetzt machen?
    Aber natürlich wusste er, was er jetzt machen musste. Er nahm das Telefon mit ins Wohnzimmer, stellte es vor sich auf den Couchtisch und sah hinaus auf das magere Gras und die dürren Bäume vor der Terrasse, während er wartete, dass der Anruf kam, der kommen musste.
     
    Er musste sehr lange warten. Ein stiller, schweigsamer Nachmittag verging, die Schatten der Birken wanderten über die Büsche am Rand des Grundstücks, und der Himmel färbte sich schon orangerot, als das Telefon endlich klingelte.
    »Andersson.«
    »Guten Abend, Professor.« Es war wieder die Stimme, die klang, als litte ihr Besitzer an einer akuten Halsentzündung. Sie sprach immer noch ein ungeschlachtes Englisch. »Sie hätten heute beinahe etwas sehr Törichtes getan, deshalb mussten wir schneller handeln, als wir es eigentlich vorhatten. Wir bedauern das. Sehr sogar, aber Sie haben uns leider keine Wahl gelassen.« Eine winzige Pause. »Wie Sie sich sicher vorstellen können, ist unsere Verhandlungsbasis nun nicht mehr das Geld.«
    »Wie geht es meiner Tochter?«, fragte Hans-Olof tonlos. Die ersten Stunden des Wartens hatte er in Vorstellungen darüber geschwelgt, was er den Entführern Kristinas alles an den Kopf werfen, mit welchen Worten er ihnen seine Verachtung zeigen würde, aber irgendwann hatten die Mühlen seines Geistes hohl gedreht, und nun war nichts mehr von all der Wut und Verzweiflung übrig, nur grenzenlose Müdigkeit.
    Die Stimme bekam einen beinah fürsorglichen Unterton. »Keine Sorge, Kristina geht es gut.«
    »Ich möchte sie sprechen.«
    »Selbstverständlich. Ich muss Sie nur vorsorglich ermahnen, nicht zu versuchen, Ihrer Tochter Hinweise auf ihren Aufenthaltsort zu entlocken. Wir sind vernünftige Menschen, Professor Andersson. Wenn Sie auch vernünftig sind, wird es keine Probleme geben.«
    »Ich werde vernünftig sein. Geben Sie sie mir.«
    Der Hörer wurde ohne Kommentar weitergereicht, und im nächsten Moment vernahm er die zittrige, aber unverkennbare Stimme seiner Tochter. »Papa?«
    »Kristina, ich bin es«, sagte er. Er musste ihr Zuversicht vermitteln, das Gefühl, dass alles ein gutes Ende nehmen würde. »Wie geht es dir? Geht es dir gut?«
    »Ich weiß nicht …«, sagte sie. Auch sie riss sich zusammen, nicht zu heulen, das war zu hören. »Ich habe Angst.«
    »Haben sie dir etwas getan?«
    »Nein, aber sie tragen alle diese Masken und so … Und ich darf hier nicht raus, sagen sie.«
    »Ich weiß. Sie wollen, dass ich etwas Bestimmtes mache, und sobald ich das gemacht habe, werden sie dich wieder freilassen. Ich werde natürlich tun, was sie verlangen, mach dir keine Sorgen. Sei tapfer. Es wird bestimmt alles gut.« Himmel, was redete er für einen Blödsinn! Aber was sollte man denn tun, wenn man nur diese dünne Telefonleitung zu seinem einzigen Kind hatte, nur reden konnte, anstatt es in die Arme zu nehmen, wie es jetzt nötig gewesen wäre?
    Ein leiser Schluchzer. Tränen, die sie erst herunterschlucken musste. »Okay«, sagte sie.
    Dann war sie wieder verschwunden und die halskranke Stimme zurück in seinem

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