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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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erklärte ich so ruhig wie möglich. Was vermutlich nicht sehr ruhig war. »Das habe ich dir gesagt, oder?«
    Er nickte. »Ja.«
    »Und dass ich dich umbringen werde, wenn Kristina irgendetwas passiert, habe ich dir auch gesagt, nicht wahr?«
    Er schluckte. »Gunnar, ich habe keinen Tropfen mehr angerührt seit dem Unfall. Keinen einzigen Tropfen, so wahr mir Gott helfe …«
    » Skit! « , schrie ich und sprang auf, stieß meinen Stuhl um, hieb mit voller Wucht gegen das Panzerglas, das Hans-Olof vor mir schützte. »Du bringst meine Familie um! Du bringst einen nach dem anderen um, also erzähl mir verdammt noch mal nicht, dass du alles richtig gemacht hast!«
    Hinter mir sagte eine sonore Stimme: »Gunnar. Beruhige dich.«
    Ich fuhr herum. Der Wärter. Wie aus dem Boden gewachsen war er plötzlich wieder da. Ein blonder, schmaler, aber bärenstarker Mann mit dünn ausrasiertem Bart und einem Gesichtsausdruck, aus dem gelangweilte Verachtung für alle Häftlinge sprach, sowie eine »Ich mach hier bloß meinen Job« -Haltung. Als Hans-Olof ihn gebeten hatte, uns allein zu lassen, war er so bereitwillig aus dem Raum gegangen wie kein Wärter jemals zuvor, zum Beispiel wenn einer meiner Anwälte das verlangt hatte.
    Ich starrte ihn an. Am Rand meines Gesichtsfeldes flimmerte es dunkel. »Er hat meine Schwester …«, hörte ich mich keuchen, »und jetzt … erst Inga … und nun …« Wahrscheinlich war es in Wirklichkeit vollkommen irres Zeug, das ich von mir gab.
    »Gunnar«, erwiderte der Wärter, »egal was es ist – wenn du ausrastest, muss ich das Gespräch beenden. Also versuch, ruhig zu atmen, heb deinen Stuhl wieder auf, und setz dich hin.«
    Ich atmete ruhig, hob meinen Stuhl wieder auf und setzte mich zurück an den fest mit dem Boden verschraubten Tisch aus lackiertem Stahl.
    »Soll ich bleiben?«, fragte der Wärter an Hans-Olof gerichtet.
    Hans-Olof schüttelte den Kopf. »Danke, aber es ist wirklich ein sehr vertrauliches Gespräch.«
    »Wie Sie meinen«, meinte mein Aufpasser und ging wieder hinaus zu seinem Stuhl vor der Tür, die ein schmales Sichtfenster aus Gitterglas hatte.
    Hans-Olof sah hinab auf seine Hände, die einander kneteten, als gelte es herauszufinden, was Fingergelenke und Haut zu ertragen imstande waren. »Kristina ist nicht nur deine Nichte«, brachte er schließlich heraus. »Sie ist vor allem meine Tochter.«
    Es klang wie ein Spruch, den er auf der Herfahrt einstudiert hatte. Und selbst wenn es nicht so geklungen hätte, hätte ich ihm seinen Familiensinn nicht abgekauft. Hans-Olof hatte eine Mutter, die draußen in Småland lebte und um die er sich nicht kümmerte, mit dem Argument, sie erinnere sich ohnehin nicht an ihn und vergesse jeden Besuch, sobald man zur Tür hinaus sei. Die alte Frau wohnte noch in ihrem eigenen Haus, ein Sozialdienst sah nach ihr, versorgte sie mit Essen und so weiter. Dass mein Schwager dafür etwas bezahlte, bezweifelte ich; schließlich entrichtete man ja genug Steuern, nicht wahr?
    Ich hasste ihn. Und ich fand meine Gründe, ihn zu hassen, absolut nachvollziehbar und berechtigt. Er hatte meine Schwester nicht nur getötet, er hatte sie regelrecht vernichtet. Inga hatte Pläne für ihr Leben gehabt, wunderbare Pläne, doch Hans-Olof Andersson hatte sie durchkreuzt. Ich war stolz auf sie gewesen, auf das, was wir gemeinsam geschafft hatten, nachdem wir dem Elend unserer Kindheit unter unbeschreiblichen Mühen entronnen waren, und er hatte alles zerstört.
    Inga hatte die Schule nachgemacht und angefangen zu studieren. Ich hatte das Geld beschafft, von dem wir gelebt hatten; meistens nicht im Einklang mit dem Gesetz, zugegeben, aber schließlich hatte das Gesetz für uns auch nichts getan, als es uns schlecht gegangen war. Ich hatte uns ernährt, unsere kleine Wohnung am Rand von Stockholm bezahlt, war stolz gewesen auf meine große Schwester, die damals jeden Abend bis in die Nacht hinein über den Büchern saß. Kinderärztin hatte sie werden wollen, in einer Klinik zuerst, um später eine eigene Praxis zu eröffnen. Es schien endlich, endlich aufwärts zu gehen mit uns.
    Dann hatten sie mich wieder einmal erwischt. Ich war schon zu alt gewesen, als dass mich das Jugendstrafrecht davor hätte bewahren können, für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis zu wandern. In der Zeit hatte dieser blässliche, wabbelige Mann Inga betört, geschwängert und geheiratet, und vorbei war es gewesen mit all ihren Plänen, all unseren Plänen. Als man mich zwei Jahre

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