Der Nobelpreis
Gelegenheit, dein Vorstellungsvermögen zu erweitern.«
»Und dann? Was würdest du tun, was ich nicht auch tun könnte?«
Ich spürte gereizte Ungeduld in mir hochsteigen. »Hans-Olof, ich versuche, mir auszumalen, wie du Türschlösser knackst, dich an Hauswänden abseilst oder mit der Taschenlampe durch dunkle Büroräume schleichst. Aber ehrlich gesagt übersteigt das mein Vorstellungsvermögen.«
Er sah mich wieder mit seinem idiotischen, entgeisterten Gesichtsausdruck an. »Ach so. So etwas.« Offenbar hatte er sich, obwohl er seit über fünfzehn Jahren wusste, welchen Beruf ich ausübte, nie Gedanken darüber gemacht, wie das Tätigkeitsfeld eines Industriespions in der Praxis aussah.
»Ja«, nickte ich. »So etwas. Und ich schätze, es werden ein paar Aktivitäten dazukommen, die auch für mich noch Neuland sind. Zum Beispiel, jemanden mit vorgehaltener Waffe zum Reden zu bringen. Jemanden zu töten, wenn es sein muss.«
Ich beugte mich vor. »Begreifst du nicht, dass ich womöglich die Trumpfkarte in deinem Ärmel bin, von der sie nichts ahnen? Wenn wir schnell genug sind, haben wir das Spiel gewonnen, ehe sie begreifen, was los ist.«
Er sah mich skeptisch an. »Du würdest jemanden töten?«
»Kristinas Entführer? Ohne eine Sekunde zu zögern.«
Hans-Olof wandte den Blick ab, musterte den fahlgrauen Boden und die bleich lackierten Wände. »Ich weiß nicht«, murmelte er. »Das ist alles ein Albtraum. Wenn ich nur wüsste, wieso ich in diese Lage geraten bin. Was ich falsch gemacht habe …?«
Er begann, mir auf die Nerven zu gehen.
»Ist dir klar, warum du zögerst?«, fragte ich barsch. »In Wirklichkeit, meine ich? Du zögerst, weil du dir immer noch nicht eingestehen willst, dass ich die ganze Zeit Recht hatte und du Unrecht. Du weißt genau, dass du, wenn du tust, was ich gesagt habe, und du mich damit freibekommst, gleichzeitig akzeptieren musst, dass die Welt tatsächlich schlecht ist, dass die Regierungen und Verwaltungen korrupt bis ins Mark sind, dass in Wirklichkeit das große Geld regiert und hinter den schönen Fassaden von Rechtsstaat und Demokratie die Fäden zieht. Mit anderen Worten, du müsstest zugeben, dass du bisher an den Klapperstorch und den Weihnachtsmann geglaubt hast. Und das willst du nicht. Deshalb zögerst du.«
»Ja. Vielleicht.« Er rang nach Atem. »Aber weißt du, auch wenn du das so erklärst und auch wenn für dich offenbar alles sonnenklar ist, kommt es mir trotzdem so irreal vor …«
Er ging mir auf die Nerven.
Ich stand abrupt auf. »Schluss mit der Debatte. Mir ist es egal, wie du es anstellst, aber du wirst jetzt da hinausgehen und dafür sorgen, dass ich freigelassen werde und Kristina suchen kann. Oder du kommst mir besser nie wieder unter die Augen, wenn dir dein Leben lieb ist.« Mit drei Schritten war ich an der Tür und hieb mit der flachen Hand dagegen.
» Hej! Das Gespräch ist beendet!«
KAPITEL 17
Ich habe das Gefängnis immer als Abbild der Gesellschaft empfunden, bloß dass die Verhältnisse klarer zu Tage liegen, unverstellter, unmittelbar einleuchtend auch für das schlichte Gemüt. Drinnen wie draußen werden Leute dazu gebracht, stumpfsinnige Tätigkeiten für viel zu geringe Entlohnung zu verrichten. Doch während außerhalb der Gitter ein kompliziertes, kaum zu durchschauendes Gewebe aus medialer Verführung, kulturellen Legenden, Illusionen und Traumbildern einen dagegen narkotisiert, den Druck wirtschaftlicher Zwänge zu spüren, herrscht im Gefängnis die unmissverständliche Gewalt von Ketten, Riegeln, Schlössern und Stahltüren. Es gibt Vorschriften, und es gibt Wärter, die sie durchsetzen. Jedem, der neu eintrifft, wird rasch und notfalls schmerzhaft klar gemacht, was er sich mit Widerstand und Widerspruch einhandelt. Innerhalb der Mauern treten die Mechanismen der Gesellschaft gewissermaßen so unverhüllt zu Tage, dass jeder sie begreifen kann.
Drinnen wie draußen reagieren die Menschen ihren Frust ab, die einen mit Flucht in Drogen oder Suff, die anderen mit Härte gegen sich selbst und Gewalttätigkeit gegen andere. Und wie zum Hohn wird einem als Charakterfehler angekreidet, was schlicht Versagen unter Druck ist. Denn auf beiden Seiten der Mauern gilt die Moral der Absicht, ist es ein Wert an sich, edle Motive zu haben, wohlwollende Vorhaben zu verkünden und in wohlgesetzter Rede an das Gute im Menschen zu appellieren, unabhängig davon, ob den Worten je Taten folgen. Was meist nicht geschieht. Es kommt nur darauf
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