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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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später auf Bewährung entließ, hatte ich keine Familie mehr gehabt.
    In meiner Sicht der Dinge war es Kristinas Geburt gewesen, die Hans-Olof das Leben gerettet hatte oder zumindest die Unversehrtheit seiner Gesichtszüge. Inga war so glücklich gewesen mit ihrer Tochter, dass ich ihr nicht hatte böse sein können, und Kristina, die zum Glück nur ihrer Mutter ähnelte und ihrem Vater kein bisschen, bezauberte auch mich. Es dauerte eine Weile, aber schließlich schloss ich um Kristinas willen Waffenstillstand mit ihrem Vater. Um Kristinas willen bemühte ich mich, ruhig mit ihm zu reden und ihn als den Mann zu akzeptieren, den meine Schwester aus unerfindlichen Gründen nun einmal liebte.
    Ich hatte nicht geahnt, dass er trank. Inga war glücklich, Kristina war glücklich, und Hans-Olof Andersson trank. Ich war gerade wieder im Gefängnis, als es passiert war. Nacht, Winter, glatte Straßen in ganz Schweden, doch Hans-Olof hatte auf der Feier, zu der sie eingeladen waren, dem Angebot der Bar nicht widerstehen können. Auf der Heimfahrt rammte er den Wagen gegen einen Baum. Inga war sofort tot, er selbst kam mit ein paar Prellungen davon.
    Aber natürlich wird ein Mitglied der Nobelversammlung nicht wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt. Die Oberen der Gesellschaft passen da schon gut aufeinander auf. Ein übereifriger Polizist hatte Hans-Olof zwar eine Blutprobe abgenommen, doch deren Ergebnis wurde nie bekannt. Nach allem, was ich über den Prozess gehört habe, beließ es der Richter bei einer milden Verwarnung.
    Ich bekam Hafturlaub für Ingas Beerdigung. Wenn man nicht zwei Wachleute mitgeschickt hätte oder wenn sie ein bisschen weniger stark oder ein bisschen weniger schnell gewesen wären, hätte ich Hans-Olof Andersson am Grab seiner Frau erwürgt. So verspielte ich mir lediglich jede Chance auf vorzeitige Entlassung.
    Kristina kam mich danach kein einziges Mal mehr besuchen. Ich weiß nicht, was Hans-Olof ihr alles über mich erzählt hat, aber ich kann es mir denken.
    Wie man es auch betrachtete, dieser bleiche, schwitzende, übergewichtige Mann auf der anderen Seite der Glasscheibe hatte mir meine Familie genommen. Und nun war er gekommen, um mir zu sagen, dass meine letzte lebende Angehörige demnächst sterben würde durch seine Schuld.
    »Warum erzählst du mir das eigentlich alles?«, fragte ich.
    Hans-Olof riss die Augen auf. »Was? Ich dachte, das wäre klar. Weil ich hoffe, dass du mir einen Rat geben kannst.«
    Das war mir durchaus klar. Ich hatte nur wissen wollen, ob es auch ihm klar war. Meine Gedanken waren auf einmal von geradezu kristallener Klarheit, gerade so, als habe mein Wutausbruch Verkrustungen und Verhärtungen weggesprengt, die sich in Jahren stumpfsinnigen Gefängnislebens auf meinem Geist abgelagert hatten.
    »Das ist das erste Mal, dass du mich um einen Rat bittest.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich.«
    Er runzelte die Stirn. »Nun ja, mag sein. Ich war allerdings auch noch nie in einer vergleichbaren Situation. Ich dachte, du kennst dich mit solchen Dingen vielleicht besser aus als ich – wie man mit solchen Leuten umgeht, mit solchen … Situationen eben.«
    »Weil ich schließlich auch ein Krimineller bin.«
    »Ich greife gerade nach allem, was auch nur entfernt wie ein Strohhalm aussieht.«
    »Hans-Olof, ich bin nur ein Einbrecher. Mit Entführungen, Erpressungen und anderem Mafiazeug habe ich nie etwas zu tun gehabt.«
    Er machte eine unwirsche Handbewegung. »Einbruch, sicher. Aber deine Anklage lautete auf Industriespionage. Und das, was hier passiert und worin Kristina und ich verwickelt sind, ist ganz offensichtlich keine normale Erpressung. Hinter dem ganzen Fall stecken handfeste industrielle Interessen. Ein Bereich, in dem sich keiner so gut auskennt wie du.« Er breitete die Hände aus. »Du hast die Kontakte, das Hintergrundwissen, die Erfahrung. Sag mir, was ich tun soll, um Kristina zu retten.«
    Ich betrachtete ihn überrascht. Bis zu diesem Moment hätte ich jede Wette gehalten, dass allein der Nobelpreis Hans-Olofs höchstes Heiligtum war, ein unantastbarer, unverrückbarer Wert. Es musste ihm klar sein, dass diese Affäre, wenn sie bekannt wurde, das Ansehen des Nobelpreises beschädigen würde, möglicherweise irreparabel. Dass er das für Kristinas Wohlergehen in Kauf zu nehmen bereit war, verblüffte mich offen gestanden. Vielleicht lag ihm ja doch etwas an seiner Tochter.
    »Es gibt tatsächlich eine Sache, die du tun kannst«, sagte ich.
    »Sag mir,

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