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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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technisch-fortschrittlich Klingendes waren.
    Der gesamte neunte Stock jedoch, so verriet die Anzeigetafel, war von der schwedischen Repräsentanz des Rütlipharm- Konzerns mit Beschlag belegt.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?« Die Stimme des weißhaarigen Portiers mit der Boxerstatur schreckte Hans-Olof aus seinen Überlegungen.
    »Bitte?«, schnappte er erschrocken zurück.
    »Haben Sie einen Termin?«, hakte der breitschultrige Mann in der braunen, etwas altbacken wirkenden Uniform nach.
    Hans-Olof schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich … es hat mich nur interessiert, wer hier … Es ist einfach nur Neugierde. Ich habe keinen Termin.«
    Der Blick des Mannes wurde mitleidlos. »In dem Fall muss ich Sie bitten, weiterzugehen und den Zugang nicht länger zu behindern …«
    Das war allerhand. Hans-Olof sah sich verdutzt um. Der Durchgang maß mehrere Meter, und außer ihnen beiden war weit und breit niemand zu sehen, den man hätte behindern können. »Aber …«
    »… Herr Andersson « , schloss der Portier.
    Hans-Olof klappte den Mund wieder zu. Der kalte Blick des Mannes, der ihn aus unerfindlichen Gründen beim Namen kannte, ließ ihn frösteln.
    »Okay«, sagte er schließlich leise. »Ich gehe ja schon.«
    Und da, endlich, kam Hans-Olof Andersson auf die Idee, seinen Schwager zu besuchen, das schwarze Schaf der Familie, von dessen Existenz niemand in seinem Umfeld hatte wissen dürfen, den letzten überlebenden Verwandten seiner verstorbenen Frau, und ihn um Rat zu fragen.
    Auf verschlungenen Wegen fuhr er ins Stockholmer Stadtgefängnis, beantragte einen Gesprächstermin mit Gunnar Forsberg und bekam ihn auch. Eine halbe Stunde später saß er mir gegenüber und erzählte mir seine Geschichte mit einer leisen, dünnen, unmännlichen Stimme, die fast zersplitterte vor Panik.

KAPITEL 16
    Er hatte Angst vor mir. Zu Recht.
    Ich konnte seine Angst förmlich riechen, obwohl er durch eine Glasscheibe und Gitterstäbe von mir getrennt war. Ich konnte sie erkennen in der Art, wie er dasaß, die Beine um den unbequemen, weißen Klappstuhl geschlungen, den die Verwaltung des Stockholmer Stadtgefängnisses Besuchern zumutet. Ich las sie in der Art, wie er sich bewegte. Ich hörte sie heraus aus dem Klang seiner Stimme. Und es war sein Glück, dass ich diese Angst spüren konnte, denn ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn Hans-Olof Andersson es gewagt hätte, mit einer Geschichte wie dieser zu mir zu kommen ohne schlotternde Knie, Schweiß auf der Stirn und Dünnschiss, den man riechen konnte.
    »Du Idiot«, sagte ich, als das betretene Schweigen lange genug gedauert hatte.
    Er zuckte zusammen, presste die Lippen aufeinander, sah feige hoch und meinte leise: »Was bringt das jetzt, wenn du mich beschimpfst?«
    »Es war idiotisch von dir, nach diesem Telefonat direkt zur Polizei zu fahren. Es war idiotisch von dir, Kristina einer Sekretärin zu überlassen, die keine Ahnung haben konnte, worum es ging.«
    »Ja, meinetwegen. Es war idiotisch. Das weiß ich jetzt auch. Aber Himmel, das war das erste Mal, dass ich es mit solchen Leuten zu tun hatte!«
    »Oh, ja, ich vergaß. Der Herr Wissenschaftler. Erhaben über niedere Triebe und dumpfe Instinkte.« Ich öffnete die Faust wieder, zu der sich meine rechte Hand verkrampft hatte; die Fingergelenke schmerzten, und auf dem Handballen zeichneten sich Druckstellen von den Fingernägeln ab. »Selbst der größte Kretin im ganzen Land, lieber Schwager, hätte sich zuallererst um sein Kind gekümmert. Nenn es von mir aus Brutpflegeinstinkt, aber jeder normale Mensch wäre zur Schule gerast, hätte dort Radau gemacht, sich vor sein Kind gestellt und die halbe Stadt zusammengeschrien. Aber du? Oh, nein, was für eine Zumutung, dir so zu kommen. Dir zu drohen. Dir, dem Mitglied der wissenschaftlichen Elite. Dir, dem Bewohner des medizinischen Olymps. Dir, dem Herrn über den Nobelpreis. Das ging gegen die Ehre, nicht wahr? Du musstest auf der Stelle losrasen und deine gekränkte Eitelkeit zur Polizei tragen.«
    Er öffnete den Mund, hielt aber klugerweise inne und schloss ihn wieder, ohne einen Ton zu sagen.
    Ich drückte das kochende Gefühl, das in mir hochwallen wollte, wieder hinab in die Tiefen, aus denen es kam. Ich sagte mir, dass es keinen Sinn hatte, jetzt aufzuspringen und herumzutoben, dass dann nur der Wärter wieder hereinkommen und die Unterredung beenden würde und dass damit niemandem gedient war.
    »Ich habe dir gesagt, du sollst auf Kristina aufpassen«,

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