Der normale Wahnsinn - Roman
sehen. Und was ich sehe, gefällt mir kein bisschen.
Kate : »Wir haben den Urin Ihres Sohnes toxokologisch getestet«, sagt der Arzt.
»Was haben Sie?«
»Wir haben einen Test durchgeführt, der sämtliche toxischen Substanzen in einem Organismus nachweist.«
»Toxische Substanzen?«
»Ich habe Mrs Beardsley hinzugezogen, weil ich dazu in einem solchen Fall verpflichtet bin.«
»In einem solchen Fall? Worüber zum Teufel reden Sie eigentlich?«
»Mrs Lister, Ihr Sohn ist erkrankt, weil ihm MDMA verabreicht wurde.«
MDMA? Was soll das heißen?
»Ecstasy«, sagt der Arzt.
» Ecstasy? «
»Natürlich hat nun oberste Priorität, dass Ihr Sohn wieder gesund wird, aber wir werden auch herausfinden müssen, wie es dazu kam.«
»Sie sollten außerdem wissen, dass wir die Polizei benachrichtigen mussten, Mrs Lister«, sagt die Sozialarbeiterin. Ich mag diese Frau nicht, definitiv nicht – eine mickrige, schmuddelige und scheinheilige Person, das ist sie. »Das müssen wir tun, wenn Drogen im Spiel sind. Man wird Sie und auch Ihre Nanny zu dem Fall verhören und –«
»Moment mal!«, unterbreche ich sie. »Das ist einfach lächerlich. Mein Sohn hat keine Drogen genommen. Ecstasy? Herrgott nochmal, er ist doch erst drei Jahre alt!«
»Aber die Tests haben eindeutig Spuren von MDMA in seinem Körper nachgewiesen«, sagt der Arzt.
»Dann sind Ihre Tests eben falsch. Ja, so muss es sein. Es gibt keine Drogen in meinem Haus. Ich bin eine absolute Gegnerin jeglicher Drogen.« Ich schaue durch die Trennscheibe hinüber zu Christie. Sie erwidert meinen Blick, und auf ihrem Gesicht liegt die nackte Panik. Was zum Teufel hat sie getan? Was zum Teufel hat sie meinem Kleinen angetan? Ich merke, wie mir schlecht wird. Schlechter noch, als ich mich auf der Beerdigung gefühlt habe, und ich hätte nie gedacht, dass das möglich ist.
In diesem Moment klingelt mein Handy, und ich bin nicht undankbar dafür. Mein Kopf droht zu zerplatzen, und ich brauche eine kurze Auszeit, einen kleinen Moment, um in Ruhe nachzudenken. Also beantworte ich den Anruf.
»Hallo, Kate? Hier ist Pam.«
Pam? Welche Pam? In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken.
»Vom Büro …«, sagt sie. »Bancroft Brooks.«
»Ach, Pamela . Sorry, bin gerade mitten in einer Besprechung und –«
»Wollte Sie nur wissen lassen, dass ich den Aktenordner gefunden habe.«
»Aktenordner?«
»Ja, der vom MotorVations-Seminar. Sie hatten mich doch letzte Woche deswegen angerufen. Ich hab ihn im –«
»Hören Sie, das ist gerade kein guter Zeitpunkt.«
Der Arzt und die Sozialarbeiterin blicken mich schweigend an. Und sie fällen ein Urteil über mich, keine Frage. Was für eine Mutter ich wohl in ihren Augen bin? Wahrscheinlich die schlechteste aller Zeiten. Und vielleicht stimmt das ja auch, nach allem, was bisher geschehen ist.
»Ja, natürlich«, sagt Pamela. »Ich schicke ihn mit der Post, okay? Oder soll ich einen Fahrradkurier bestellen?«
»Das ist mir egal … Machen Sie es, wie Sie meinen. Ich muss jetzt Schluss machen.«
Ich beende das Gespräch und starre hinüber zu Christie hinter der gläsernen Trennwand. Ich muss die Sache hier und jetzt klären. Je eher die Polizei hier ist, umso besser.
Pam : Die Leitung ist tot. Nicht mal ein »Auf Wiedersehen«, geschweige denn ein »Danke schön«. Noch vor einer Woche war dieser dämliche Aktenordner das Wichtigste auf der Welt, und jetzt scheint er ihr scheißegal zu sein. Na ja, dann ist er mir eben auch scheißegal. Ich fege das Ding von meinem Schreibtisch geradewegs in den Papierkorb. Das war das letzte Mal, dass ich dieser dummen Kuh geholfen habe.
Mein Blick fällt auf die Uhr an meinem PC. Kurz nach zehn. Ich hole mir jetzt einen Kaffee. Und was zu essen. Einen Doughnut. Einen Doughnut mit Schokoüberzug. Scheiß auf die Diät. Ich weiß nicht mal mehr, warum ich mich damit abgeplagt habe. Ich werfe mir meinen Mantel über und schnappe mir meine Handtasche. Könnte sein, dass sie mich rausschmeißen, wenn ich jetzt einfach so von hier verschwinde.
Gut.
Ich weiß nicht mal, warum ich überhaupt noch hier bin. Nicht, dass ich viel Arbeit hätte. Bis jetzt macht die Firma keine Anstalten, Kate zu ersetzen. Doug Feinwick, unser Leiter für den Bereich Finanzen, nimmt jetzt ihre Aufgaben vorübergehend wahr – so zumindest stand es in der gemailten Mitarbeiterinfo. Und darin stand auch, dass Kate wegen eines »privaten Krankheitsfalls in der Familie« das Unternehmen verlassen hat.
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