Der normale Wahnsinn - Roman
sind alle Schweine, Mädels, vergesst es einfach. Aber ich lese trotzdem weiter. Hab ja nichts Besseres zu tun.
Ich hab die erste Seite fast durch, als mein Handy losbimmelt. Hab keine Lust, mit irgendjemandem zu reden, aber ich kann’s einfach nicht klingeln lassen. Ich werfe einen Blick aufs Display und kann’s nicht fassen. Bin kurz davor, den Anruf abzuwürgen, doch dann nehme ich das Gespräch doch an.
»Was willst du?«, frage ich, und ich hab Angst. Er ist nicht mal hier, und doch hab ich noch nie im Leben eine solche Angst vor jemandem empfunden.
Er antwortet nicht. Was ist das für ein Geräusch am anderen Ende? Weint er etwa?
»Wenn du nichts zu sagen hast, mache ich jetzt Schluss«, blaffe ich in den Hörer.
»Nein, bitte … Leg nicht auf.«
»Was willst du?«, frage ich wieder.
»Es tut mir leid … Es tut mir wirklich leid, Pam. Ich bin im Arsch. Hab alles kaputtgemacht.«
Das ist zweifelsohne richtig. Aber ich schweige. Will ihm nicht mal die Befriedigung verschaffen, ihm zuzustimmen, dass er der letzte Dreck ist. Eigentlich sollte ich auflegen, aber ich tu’s nicht.
»Ich hab dich so mies behandelt«, fährt er fort, »und ich erwarte auch nicht, dass du mir vergibst.«
»Gut, weil ich das auch nicht tun werde. Du bist ein Vieh, Keith«, entfährt es mir, und das Mädchen hinter der Theke schaut zu mir herüber. Der ganze Kummer und Frust der letzten Woche steigen in mir hoch. »Erinnerst du dich noch, wie du immer über Vergewaltiger und diese Typen gesprochen hast, die ihre Frauen prügeln?«, frage ich ihn. »Erinnerst du dich noch, wie sehr du sie verachtet hast, wie sehr sie dich angewidert haben? Tja, und jetzt bist du keinen Deut besser als diese Schweine. Du bist Abschaum, Keith.«
»Es tut mir leid. Es tut mir so leid.«
»Und das war’s? Ist das alles, was du dazu zu sagen hast? Egal, ich muss zurück an die Arbeit.«
»Bitte leg nicht auf«, fleht er. »Noch nicht. Ich muss mit dir reden.«
»Was hätten wir noch miteinander zu bereden? Was willst du noch von mir? Was zum Teufel willst du, Keith?«
Keith : Tja, was will ich eigentlich von ihr?
»Eine zweite Chance?«, fragt sie. »Ist es das, was du willst? Falls ja, vergiss es.«
Nein, das ist es nicht. Ich verdiene keine zweite Chance.
»Ich möchte nur, dass du – nein, ich muss dich einfach wissen lassen, dass ich sehr wohl weiß, was für ein Haufen Scheiße ich bin«, sage ich. »Das ist alles, Pam. Ich will nur, dass du es weißt. Ich war ziemlich schlecht drauf … hatte Depressionen. Hab seit Ewigkeiten nichts und niemanden mehr ausstehen können. Und dann ist mir alles irgendwie entglitten. Hab total die Kontrolle verloren und alles versaut.«
»Ja, aber damit bist du noch lange nicht raus aus der Sache«, sagt sie. »Wenn normale Leute Depressionen kriegen, dann reden sie mit jemandem darüber und fallen nicht über ihre Mitmenschen her.«
»Aber ich bin nicht normal … Ich bin der letzte Dreck.«
Sie widerspricht mir nicht, und warum auch? Der Uhu schaut von seinem Regal auf mich hinab. Selbst er denkt, dass ich der letzte Dreck bin. Das dachte er schon in dem Moment, als ich hier reingekommen bin, da bin ich mir ganz sicher.
»Okay, ich bin dann mal weg und lasse dich jetzt in Ruhe«, sage ich. »Tschüss, Pam und … es tut mir leid.«
»Was ist mit deinen Sachen?«, fragt sie plötzlich.
Pam : Was mache ich hier eigentlich? Warum halte ich ihn länger als nötig am Telefon fest?
»Was meinst du?«, fragt er.
»Na ja, deine ganzen Klamotten und Geräte, die noch in der Wohnung sind. Was soll mit denen geschehen?«
»Keine Ahnung«, sagt er. »Wundert mich, dass du das Zeug nicht längst entsorgt hast. Mach damit, was du willst. Von mir aus bring alles in den Oxfam-Shop. Ernsthaft, tu damit, was du willst.«
»Wir werden die Immobilie verkaufen müssen«, sage ich. »Ich kann sie nicht allein unterhalten.«
»Okay, verkauf sie«, sagt er. »Und behalte, was auch immer sie abwirft.«
Was ist hier los? Er redet, als ob sein Leben schon zu Ende ist. Und in diesem Moment trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag: Dieses ganze Telefonat verläuft wie das Abschiedsgespräch eines Selbstmordkandidaten.
»Wo bist du, Keith?«, höre ich mich fragen.
Vor meinem geistigen Auge erscheint eine schmale Kante hoch oben auf einem Wolkenkratzer oder ein Baum mit einem daran baumelnden Strick oder ein Schlauch, über den Abgase ins Innere eines Autos geleitet werden … Was auch immer, Keith hat
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