Der normale Wahnsinn - Roman
dann fielen mir die Embryos wieder ein. Pauls und meine Embryos. Das Letzte, was wir zusammen geschaffen haben. Und die Vorstellung, sie tiefgefroren zu vergessen, erschien mir plötzlich falsch.
Und da bin ich, nach all den Jahren, und halte einen positiven Schwangerschaftstest in Händen. Es tut mir so leid, Paul, so leid, dass du heute nicht bei mir sein kannst.
Natürlich bin ich auch glücklich, doch gleichzeitig eben auch sehr, sehr traurig. Doch nun kann ich an Pauls Tod denken, ohne gleich zusammenzubrechen. Ich kann mich selbst ans letzte Weihnachtsfest zurückerinnern und mich gut dabei fühlen. Wie zum Teufel ist das möglich? Ich meine damit, dass ich an die Menschen zurückdenken kann, die gut zu mir waren – an all die kleinen Dinge, die sie für mich taten und die sie unter normalen Umständen wohl nicht getan hätten und die mir zeigten, dass sie mich lieben –, und mich gut dabei fühlen kann. Dinge wie die Blumen, die ich von einer mir völlig fremden Frau im Krankenhaus erhalten habe. Ja, bei dem Gedanken daran fühle ichmich gut. Ich hab die kleine, handgeschriebene Karte aufgehoben, und manchmal sehe ich sie mir an und frage mich, was die Frau wohl gerade macht.
Janet : »Was machst du, Mum?«, ruft Mark von draußen.
»Ich lese Zeitung, Schatz«, sage ich und ziehe die Post über die Formulare, als mein Sohn in die Küche kommt. »Soll ich dir einen Tee machen?«, frage ich.
»Nein, danke«, sagt er. »Ich gehe noch mal weg, aber ich komme nicht spät heim.«
Ich höre, wie er die Haustür hinter sich ins Schloss fallen lässt, dann schaue ich wieder hinab auf die Formulare. Soll ich das wirklich tun? Ja, denn wenn ich’s jetzt nicht tue, dann werde ich’s nie tun.
Man weiß im Leben nie, was kommt, nicht? Gestern noch war man eine glücklich verheiratete Frau, und heute schon spricht man mit einem Anwalt über die Scheidung. Solche Dinge bringen einen zum Nachdenken. Mein ganzes Leben lang hab ich mir eingeredet, dass es mir egal ist, woher ich komme, aber wem wollte ich damit eigentlich was vormachen? Natürlich ist es mir nicht egal. Wie könnte es mir auch egal sein? Meine Mutter – meine richtige Mutter – wird schon bald tot sein, wenn sie es nicht schon ist. Wie ich schon sagte, man weiß nie, was passiert. Nehmen wir nur die Frau im Krankenhaus damals. In der einen Minute saß ihr Mann noch neben ihr am Bett, in der nächsten lag er tot auf der Straße. Das beschäftigt mich noch immer sehr, wenn ich ehrlich sein soll.
Ich falte die Formulare zusammen, stecke sie in einen Umschlag und ziehe mir den Mantel an. Wenn ich mich beeile, schaffe ich es noch rechtzeitig zum Postamt, bevor es schließt.
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