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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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so laut und schrill, wie es zuvor gebrüllt hatte.
    Alle drehten sich wieder nach dem Kind um, das jetzt vergnügt schmunzelte, und lachten. Sie erhoben abermals das Glas, riefen »Auf den Nussknacker!« und prosteten sich wieder zu.
    Von da an stand ich nicht mehr auf der Kommode von Dorothy, sondern war bei Ros. In der Nacht stellte sie mich aufihren Nachttisch neben das Bett, sodass sie mich auch beim Einschlafen sehen konnte. Wenn dann endlich ihre Augen zugefallen waren, konnte ich ihr beim Schlafen zuschauen. Aber meistens schlief Ros nicht. Wenn ihre Eltern im Speisesaal oder im Rauchersalon die ganze Nacht tranken und feierten, stand sie heimlich auf, nahm mich vom Nachttisch und schlich mit mir auf Deck A herum. Sie stellte sich an die Reling und sah den Sternen beim Leuchten zu. Oder sie beugte sich über das Geländer am Bug, sodass ich ein wenig Angst um sie bekam. Ros beobachtete das Schiff, wie es beinahe lautlos eine Fahrrinne in das Meer und die Nacht schnitt.
    * * *
    In der dritten Nacht  – es war der 14. April, vier Tage nach Beginn der Reise  – schlich Ros sich mit mir in die unteren Decks, die sich im Bauch des Schiffes befanden, wo die Passagiere der dritten Klasse untergebracht waren. Da war es ziemlich ruhig. Die Türen zu den Kajüten waren geschlossen. Die meisten Reisenden schliefen offenbar schon. Hin und wieder hörte man Schnarchen oder flüsternde Stimmen. Am Ende des Ganges, auf Deck E, drang leise Musik durch eine Tür. Es war aber keine Musik, wie sie in der ersten Klasse gespielt wurde. Sie klang lustiger, beschwingter, als ob man ausgelassen dazu tanzen sollte. Menschen sangen und lachten. Gerne hätte Ros die Tür geöffnet und hineingeschaut, traute sich aber nicht.
    Wir standen noch ein paar Minuten davor und lauschten, ehe wir uns auf den Rückweg machten. Am Ende des Flurs kamen wir an einer Kajütentür vorbei, die nur angelehnt war. Ros blieb stehen und schob die Tür vorsichtig einen kleinen Spaltauf, sodass Licht vom Flur in einem dünnen Streifen in die Kajüte fiel. Wir konnten drei schmale Stockbetten auf engstem Raum erkennen. Hier war nichts von der Großzügigkeit und Weitläufigkeit der oberen Etagen zu sehen. Keine Stofftapeten hingen an der Wand, keine Ölgemälde und Kronleuchter. Es war eng, klein und schlicht. Die Betten waren primitiv, und der Boden war nicht aus Marmor und mit flauschigen Teppichen ausgelegt, sondern bestand aus groben Holzbrettern.
    Ros staunte. Leiser Atem war zu hören. Dann eine flüsternde Stimme. »Kannst du auch nicht schlafen?«
    Ros erschrak. Ich ebenfalls. Die Stimme kam aus dem Dunkeln von einem der Betten. Sie klang überhaupt nicht verschlafen, sondern hellwach. Es war die Stimme eines Mädchens. Die Bettdecke auf der oberen Etage eines der Stockbetten hob sich langsam, und zwei Beine schwangen sich heraus, hüpften aus dem Bett und landeten federnd auf dem Boden. In einem der anderen Betten murmelte jemand verschlafen vor sich hin.
    Vor Ros und mir stand ein Mädchen, das ungefähr so alt wie Ros war, aber ganz anders aussah. Es trug ein löchriges Kleid aus grobem, dunklem Stoff. Die Strümpfe hatten ebenfalls Löcher und reichten bis zu den Knien. Die Haare waren verstrubbelt. Ros konnte nichts sagen, starrte nur benommen auf die verwegen aussehende Gestalt. Auch ich empfand eine Mischung aus Verwunderung und Faszination.
    Das Mädchen hingegen schien gar nicht überrascht zu sein, dass mitten in der Nacht ein fremdes Kind in seiner Kajüte auftauchte. Es schlüpfte durch den Türspalt, zog die Tür hinter sich zu und sagte, noch ehe Ros etwas antworten konnte: »Komm mit!« Schon war das Mädchen ein paar Schritte vorausgeeilt. »Na los, komm schon!«
    Ohne groß nachzudenken, setzte Ros sich in Bewegung. Das Mädchen rannte vorneweg, Ros hinterdrein. Die Gänge schienen nicht enden zu wollen. Sie waren nicht breit und hell wie in der ersten Klasse, sondern schmal und schummrig beleuchtet. Immer wieder zweigte ein weiterer Gang ab, der sogar noch enger war. Treppen  – eher schmale Leitern aus Stahl – führten uns immer tiefer in ein Labyrinth im Bauch des Schiffes. Das Mädchen schien genau zu wissen, wohin es wollte. Ros und mir jedoch war der nächtliche Langstreckenlauf ein Rätsel. Ros schwitzte. Langsam aber sicher schien ihr die Puste auszugehen. Das Mädchen, offenbar viel besser geübt, in den schmalen Fluren voranzukommen, blieb hin und wieder stehen und wartete, bis Ros und ich zu ihr aufgeschlossen

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