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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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aussieht. Scheiße!
    Jetzt haben sich ganz viele Musiker zusammengeschlossen und geben ein Konzert für Afrika. Live Aid nennt sich das. Mit dem Geld, das eingespielt wird, soll die Hungersnot bekämpft werden. In Äthiopien muss es ganz schlimm sein. David Bowie ist dabei, Madonna und Phil Collins. Leider ist das Konzert in London, sonst könnten wir beide da hintrampen. (Grins!) Allein der Gedanke macht mir Angst. Ich glaube, mein Vater würde total ausflippen. Jetzt sind bald Sommerferien, und da muss ich im Handwerksbetrieb von meinem Vater mitarbeiten. Ich verdiene zwar ein paar Mark, habe aber trotzdem keine Lust. Ich würde lieber weg fahren, ans Meer vielleicht. Wie letztes Jahr nach Norderney. Oder noch weiter, an den Atlantik. Aber dieses Mal bloß nicht mit meinen Eltern. Weil da immer nur das gemacht wird, was die wollen. Da kann ich gleich zu Hause bleiben. Mein Vater angelt, meine Mutter liegt in der Sonne, wird braun und glotzt blöd vor sich hin. Was ich will, interessiert die nicht. Noch nie! Mit dir würde ich viel lieber weg fahren, egal wohin. Sollen wir?
    Deine Sandy
    P.S.: Hast du schon mal was von Heinrich Böll gelesen? Der ist vor Kurzem gestorben. Wenn du was von ihm hast, kannst du es mir ja in die Bushaltestelle legen. Würde mich mal interessieren. Danke.
    15. Juli
    Liebe Sandy,
    David Bowie ist geil. Ich liebe David Bowie. In London war ich auch noch nie. Ich war eigentlich noch nirgends. In Stuttgart mal, auch in Bonn vor drei Jahren bei der großen Demo, um für Frieden und Abrüstung und gegen den NATO-Doppelbeschluss zu demonstrieren. Ansonsten nur in irgendwelchen Kaffs, wo die AKWs stehen, auch nur zum Demonstrieren. London wäre geil. Mit dir wär’s noch geiler. Aber das wird nichts. Ich darf nicht weg, und du traust dich nicht. Müssen wir eben hierbleiben.
    Im August fahren wir wieder auf ein paar Demos. Ich hab zwar keine Lust, aber die Leute in der Anti-AKW-Bewegung brauchen unsere Solidarität, heißt es immer. Sie sollen sehen, dass wir auf ihrer Seite stehen. Aber wer steht auf meiner Seite? Du, ich weiß, aber sonst? Irgendwie komme ich mir ziemlich alleine vor, obwohl so viele Leute um mich herum sind. Viele Menschen machen einsam. Ist ein Widerspruch, stimmt aber trotzdem. Weg fahren, das wär’s. Egal wohin. Einfach so, ohne Grund, weder aus Solidarität, noch um zu demonstrieren. Am Strand liegen und in den Himmel starren und den Wolken hinterherdenken. Verstehst du? Das wär’s! Wann fahren wir?
    Deine Kira
    P.S.: Wo versteckst du eigentlich die Briefe von mir?
    26. Juli
    Liebe Kira,
    Zeugnis! Ist nicht so schlecht. Bis auf Mathe. Dafür gibt’s Hausarrest und Taschengeldkürzung. Urlaub ist auch gestrichen. Ich glaube, meine Eltern haben bloß einen Grund gesucht, in den Ferien nicht weg fahren zu müssen. Na, den haben sie jetzt. Miregal. Ich hab sowieso keinen Bock mehr, mit ihnen in den Urlaub zu fahren. Ich muss bei meinem Vater arbeiten. Taschengeld verdienen, sagt er. Ich sei jetzt alt genug. Klar, dafür bin ich alt genug, aber wenn ich bis nach zehn Uhr wegwill, dann nicht. Mann, ist das ungerecht. Da hast du’s besser. Deine Eltern sind nicht so streng. Du hast mehr Freiheiten. Dafür beneide ich dich. Ehrlich.
    Kuss, deine Sandy
    Fast während der gesamten Sommerferien wurde ich von keinem der beiden Mädchen angerührt. Ich schwitzte mich in der dunklen Ecke hinter dem Querbalken beinahe zu Tode. Als die blöden Ferien endlich vorbei waren, kam als Erste Sandra und holte mich aus dem Versteck.
    2. September
    Liebe Kira,
    die Sommerferien waren grauenhaft. Ich bin nicht weggefahren, musste arbeiten und habe viel gelesen. Auch oft an dich gedacht. Meiner Mutter geht es wieder schlechter. Ich glaube, die Auseinandersetzung um die Bebauung des Neubaugebiets hat ihr ziemlich zugesetzt. Seit drei Wochen kann sie nicht mehr richtig schlafen. Und bei jeder Gelegenheit heult sie. Zuerst hat Vater immer geschrien, sie soll sich zusammenreißen. Jetzt sagt er nichts mehr, weil er weiß, dass sie dann noch mehr weint. Ich glaube, sie nimmt auch heimlich Tabletten. Irgendwie macht sie manchmal so einen abwesenden Eindruck. Dann tut sie mir leid. Und dann denke ich wieder, dass sie eigentlich selber schuld ist, weil sie es nie gewagt hat, Vater zu widersprechen. Aber egal. Ich weiß, du bist weggefahren. Erzähl mal, wie war’s?
    Gruß und ich drück dich, Sandy
    3. September
    Liebe Sandy,
    meine Zeit war auch nicht viel besser. Ich war zwei Wochen krank,

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