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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Sommergrippe, und lag im Bett. Na gut, die Reise nach Frankreich im VW-Bus war schon irgendwie toll.
    Dazu später mehr.
    Kuss, Kira
    5. September
    Liebe Kira,
    man hat das Wrack der Titanic gefunden! Du erinnerst dich – das Schiff, das vor vielen Jahren mit Tausenden von Leuten untergegangen ist? Es liegt in 3803 Meter Tiefe im Nordatlantik. Sie haben auch den riesigen Kronleuchter gefunden, der kaum zerstört ist. Das ist doch irre, oder? Das Licht brannte noch. (Grins!)
    Mein Vater tyrannisiert mich ständig. Ich kann es ihm einfach nicht recht machen. Seine Erwartungen sind so unermesslich groß. Ich habe es meiner Mutter auch gesagt. Aber die sagte nur, dass Papa es doch nur gut meine. Wenn das gut ist, was mir schlecht bekommt, kann ich gerne darauf verzichten. Immer muss ich pauken und lernen, damit aus mir was Besseres wird, auf keinen Fall eine Handwerkerin. Er sagt, er weiß, wovon er rede. Als Handwerker sei man der letzte Arsch, verdiene wenig und müsse sich ein Leben lang abrackern, so wie er. Und dann müsse man sich auch noch mit solchen Ökofuzzis streiten. Er will, dass ich Abitur mache und studiere, obwohl ich keine Lust mehr auf die Schule habe. Ich finde, die Zeit ist vertan. Da hast du’s gut, du musst nicht in die Schule. Rechtsanwältin soll ich werden, sagt mein Vater, oder Ärztin. Meine Mutter will das auch. Sie will immer das, was mein Vater will, als hätte sie keinen eigenen Willen. Wenn mein Vater CDU wählt,wählt meine Mutter sie auch. Wenn ich frage warum, sagt sie nur, dass es doch nicht verkehrt sein könne, was Papa macht. Und wenn doch? Ich glaube, eigenes Nachdenken ist ihr einfach zu anstrengend.
    Ich habe viel nachgedacht in letzter Zeit. Ich finde, so wie ihr da in dieser alten Burg zusammenlebt, mit vielen Familien und Kindern, ist das gar nicht so schlecht. Ihr habt alles, seid unabhängig, baut eure eigenen Lebensmittel an, habt eigene Tiere. Selbst die Kleidung macht ihr selbst. Manchmal wünsche ich mir, auch so zu leben. Ich glaube, da würde ich auch mal aufs Fernsehen und das alles verzichten. Vielleicht will man aber auch immer das, was man nicht hat. Geht es dir nicht auch so?
    Bis bald, Sandy
    15. September
    Liebe Sandy,
    hier ist auch nicht alles Gold, was glänzt. Im Gegenteil. In Frankreich habe ich einen Jungen kennengelernt, aus Freiburg. Er und viele andere. Er heißt Marvin und ist süß. Auch ziemlich schüchtern. Meine Eltern haben sich so gestritten, dass Mutter meinem Vater ein paar Ohrfeigen verpasst hat. Das sah lustig aus. Hellen, die jede Gewalt ablehnt, schlägt zu. Und wie! Danach war es ihr ziemlich peinlich. Meinem Vater auch. Marvin und ich haben uns fast in die Hose gepinkelt vor Lachen – natürlich heimlich. Ich hoffe, ich sehe ihn bald wieder. Die Freiburger wollen bald zu uns kommen.
    Gruß und Kussi, Kira
    20. September
    Liebe Kira,
    heute ist meine Mutter ins Krankenhaus eingeliefert worden. Es ist noch nicht klar, was sie eigentlich hat. Vater sagt, sie wäre nervlich am Ende. Das stimmt sicher, aber das allein wird es nicht sein. Ich weiß nicht, wie lange sie dableiben muss. Ich glaube aber, so ist es am besten. Die letzten Tage waren grauenvoll. Ständig hat sie geheult, kam kaum aus dem Bett und war weiß wie eine Wand. Mein Vater hat nur wenig Verständnis. »Wer soll denn jetzt die ganze Arbeit machen?«, fragt er. Das scheint seine größte Sorge zu sein. Arbeit. Arbeit. Arbeit. Als gäbe es nichts anderes auf der Welt.
    Kuss, Sandy
    P.S.: Marvin – schöner Name. Sieht er auch so aus?
    24. September
    Liebe Sandy,
    ja, er sieht so aus!
    Kuss, Kira
    1. Oktober
    Liebe Kira,
    wie genau?
    Sandy
    2. Oktober
    Liebe Sandy,
    groß, blond, blaue Augen, schöne Lippen, schöne Nase, schöne Hände – schön!
    Kira
    30. Oktober
    Liebe Kira,
    hast du mal von dem Buch »Ganz unten« gehört, von Günter Wallraff ? Hast du es vielleicht sogar? Wallraff hatte sich als Türke verkleidet und schlecht bezahlte Arbeiten angenommen – als Putzmann, Kanalarbeiter und in einem Atomkraftwerk. Dabei hat er gezeigt, wie er von den Kollegen als Türke ausgegrenzt und schikaniert wurde. Er zeigt auch die täglichen Anfeindungen als Türke in Deutschland. Ich habe in der Zeitung ein Interview mit Wallraff gelesen, da sagt er: »Sicher, ich war nicht wirklich ein Türke. Aber man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren. Man muss sich verstellen, um die Wahrheit herauszufinden. Ich weiß immer noch nicht, wie ein Ausländer die

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